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Der Betriebsrat als Unternehmer?

06.10.2021

Bei der Einführung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, hat der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) genügt – abweichend vom Gesetzeswortlaut – bereits, dass die technische Einrichtung zur Überwachung geeignet ist. Hierbei handelt es sich, so das BAG, um ein Abwehrrecht des Betriebsrats: Entscheidet sich der Arbeitgeber z.B. für die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung, kann der Betriebsrat bei der Ausgestaltung mitbestimmen. Der Betriebsrat kann jedoch nicht seinerseits die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung verlangen; er hat kein Initiativrecht.

Dieser Rechtsprechung des BAG widerspricht eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm, mit welcher einem Betriebsrat ein Initiativrecht zur Einführung einer elektronischen Zeiterfassung zugesprochen wurde (Beschluss vom 27.07.2021 – 7 TaBV 79/20).

Worum geht es?

In dem der Entscheidung des LAG Hamm zugrundeliegenden Fall begehrte der Betriebsrat die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung, was der Arbeitgeber letztlich ablehnte. Die auf Veranlassung des Betriebsrats daraufhin gerichtlich eingesetzte Einigungsstelle ließ ihrerseits gerichtlich überprüfen, ob sie überhaupt zuständig ist. In diesem Rahmen stellte sich die Frage: Kann der Arbeitgeber nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG dazu verpflichtet sein, auch gegen seinen Willen eine elektronische Zeiterfassung zu implementieren? Die hat das LAG Hamm bejaht.

Begründung des LAG Hamm

Begründet wird die Entscheidung schlicht damit, dass der Gesetzgeber bei den in § 87 Abs. 1 BetrVG geregelten Mitbestimmungsrechten überwiegend bewusst nicht zwischen solchen unterschieden habe, die ein reines Abwehrrecht des Betriebsrat begründen und solchen, bei denen dem Betriebsrat ein Initiativrecht zusteht. Da § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG keine Beschränkung beinhalte, könne der Betriebsrat bereits bei der Frage, ob eine technische Einrichtung eingeführt werden soll, ein Mitbestimmungsrecht haben.

Entscheidung des BAG aus dem Jahr 1989

Mit dieser Entscheidung stellt sich das LAG ausdrücklich gegen die Entscheidung des BAG vom 28.11.1989 (Az.: 1 ABR 97/88). Das BAG hatte dem Betriebsrat in Bezug auf § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG lediglich ein Abwehrrecht zugestanden:

„Sinn des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, ist es, Eingriffe in den Persönlichkeitsbereich der Arbeitnehmer durch Verwendung anonymer technischer Kontrolleinrichtungen nur bei gleichberechtigter Mitbestimmung des Betriebsrats zuzulassen. […]. Dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats kommt daher eine Abwehrfunktion gegenüber der Einführung solcher technischer Kontrolleinrichtungen zu […]. Dieser Zweckbestimmung des Mitbestimmungsrechts widerspricht es jedoch, wenn der Betriebsrat selbst - gleich aus welchen Gründen - die Einführung einer solchen technischen Kontrolleinrichtung verlangt. […].“

Ausblick für die Praxis

Die Entscheidung des LAG Hamm wird – sollte sie Bestand haben – weitreichende Bedeutung für die betriebliche Praxis haben. Dem Betriebsrat stünde nämlich nicht nur ein Initiativrecht für die Einführung elektronischer Zeiterfassungen, sondern auch bezüglich aller anderen technischen Einrichtungen, die unter § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG fallen, zu. Deren Einführungen wäre somit unter Umständen über die Einigungsstelle erzwingbar.

Die Entscheidung des LAG Hamm reiht sich in vereinzelte andere instanzgerichtliche Entscheidungen ein, die von der Rechtsprechung des BAG abweichen. Daraus ist aber keine klare Tendenz ableitbar. Denn andere instanzgerichtliche Entscheidungen folgen dem BAG (vgl. z. B. LAG Niedersachsen, Beschluss vom 22.10.2013 – 1 TaBV 53/13).

Das LAG Hamm hat die Revision zum BAG zugelassen und es bleibt zu hoffen, dass das BAG seiner bisherigen Linie treu bleibt – wofür gute Gründe sprechen:

  • Die Entscheidung des LAG Hamm berücksichtigt die hohe Bedeutung der – grundrechtlich geschützten (Art. 14 GG) – unternehmerischen Freiheit nicht angemessen. Die Anerkennung eines Initiativrechts würde nämlich bedeuten, dass dem Unternehmer damit nicht nur eine bestimmte Betriebsorganisation aufgedrängt wird, sondern auch die mit ihrer Einführung und Unterhaltung verbundenen Kosten. Das ist offensichtlich unverhältnismäßig, zumal nicht erkennbar ist, weshalb eine elektronische Zeiterfassung erforderlich sein sollte. Dagegen kann insbesondere nicht argumentiert werden, die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14.05.2019 (C-55/18) verlange aber eine entsprechende Dokumentation. Denn dem EuGH genügt eine Dokumentation in Papierform, wenn sie objektiv, verlässlich und zugänglich ausgestaltet ist. Auch daraus lässt sich also kein Initiativrecht des Betriebsrat ableiten.

  • Die Ausgestaltung des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG als Abwehr- und Schutzrecht der Arbeitnehmer würde im Übrigen konterkariert, wenn der Betriebsrat als Schutzorgan selbst über die Einführung technischer Einrichtungen und damit über Einschränkungen der Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer entscheiden könnte.