News

Die Restrukturierung von Anleihen in Zeiten der Krise

06.04.2020

A. Die Corona-Krise als Gefahr für Anleiheemittenten

Die negativen Auswirkungen der durch das Coronavirus weltweit ausgelösten Pandemie ("Covid-19-Pandemie") stellen auch Anleiheemittenten vor besondere Herausforderungen. Vielfach sehen Anleihebedingungen weitreichende Rechtsfolgen bei Eintritt einer finanziellen Schieflage des Anleiheemittenten vor. Grundlage hierfür sind sog. Financial Covenants bzw. andere Verpflichtungen und Zusicherungen. Kann der Emittent diese krisenbedingt nicht einhalten, führt dies regelmäßig zum Eintritt eines Kündigungsrechts der Anleihegläubiger (siehe hierzu bereits Finanzierungsguide-Coronavirus Ziffer 2.4). Der Eintritt eines Kündigungsgrunds kann wiederum die sofortige Rückzahlung sämtlicher Schuldverschreibungen zum Nennbetrag nebst Zinsen zur Folge haben. Das würde die finanzielle Schieflage des Anleiheemittenten weiter verschärfen. Zudem können Schuldverschreibungen gerade jetzt auslaufen. Dann sind die Emittenten zur Rückzahlung verpflichtet, obwohl sie gerade in Zeiten der gegenwärtigen Krise auf Liquidität zur Aufrechterhaltung ihres Geschäftsbetriebs besonders angewiesen sind.

B. Möglichkeiten der Restrukturierung außerhalb der Insolvenz

Vor diesem Hintergrund sollten Anleiheemittenten jetzt darüber nachdenken, mögliche Verstöße gegen die Anleihebedingungen durch eine vorausschauende Restrukturierung der Anleihe zu verhindern oder sich um eine Prolongation der Anleihe zu bemühen. Eine Chance für die Restrukturierung von Anleihen außerhalb der Insolvenz eröffnet – neben der Möglichkeit eines öffentlichen Tausch- oder Rückkaufangebots – insbesondere das Schuldverschreibungsgesetz ("SchVG"). Darin ist die Möglichkeit einer (umfassenden) Änderung der Anleihebedingungen durch Mehrheitsbeschluss der Anleihegläubiger vorgesehen.

Ein mit der erforderlichen Mehrheit gefasster Beschluss ist für alle Anleihegläubiger gleichermaßen verbindlich, selbst wenn sie an der Beschlussfassung der Anleihegläubiger nicht mitgewirkt oder gegen den Beschlussvorschlag gestimmt haben. Neben einem Forderungsverzicht, Stundungen, Zinsanpassungen, einer Ersetzung des Schuldners oder einem Austausch bzw. einer Freigabe von Sicherheiten kann so u. a. auch über eine Umwandlung der Anleihe in Eigenkapital (sog. "Debt-to-Equity-Swap") beschlossen werden.

Die Beschlussfassung der Anleihegläubiger kann dabei auch in einer sog. Abstimmung ohne Versammlung erfolgen. Diese bietet eine zeit- und kosteneffiziente Möglichkeit, Abstimmungen der Anleihegläubiger auch ohne eine physische Versammlung der Anleihegläubiger durchzuführen. Die Hürden für eine solche Abstimmung sind aber hoch.

I. Abstimmung ohne Versammlung

Anders als im Gesellschaftsrecht können Anleihegläubiger nach dem SchVG mit der Abstimmung ohne Versammlung Beschlüsse fassen, ohne sich an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit zu einer physischen Versammlung zusammenzufinden. Bereits der Regierungsentwurf zum SchVG spricht von einer „virtuellen Versammlung“, wie sie im Zuge der Covid-19-Pandemie – wenn auch strukturell anders – nunmehr auch Einzug in das Aktienrecht gefunden hat. Die Abstimmung ohne Versammlung soll dazu dienen, unnötigen Aufwand für den einzelnen Anleihegläubiger und den Anleiheemittenten zu vermeiden. Gerade in Zeiten der Covid-19-Pandemie erweist sich die Abstimmung ohne Versammlung daher als probates Mittel für eine Anleiherestrukturierung. Häufig sehen Anleihebedingungen die Abstimmung ohne Versammlung ohnehin als vorrangige Abstimmungsform vor. Das Verfahren scheitert aber vielfach an den hohen Präsenzanforderungen, da wertmäßig mindestens die Hälfte der ausstehenden Schuldverschreibungen in der Abstimmung ohne Versammlung vertreten sein muss.

Zudem unterscheidet sich das Verfahren ganz erheblich von der „virtuellen Hauptversammlung“, wie sie im jüngst in Kraft getretenen „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ (COVInsAG) für Aktiengesellschaften vorgesehen ist:

  • Aufforderung zur Stimmabgabe. Die Einberufung der Abstimmung ohne Versammlung erfolgt durch die sog. Aufforderung zur Stimmabgabe, die in der Regel von dem Anleiheemittenten im Bundesanzeiger veröffentlicht wird. Sie enthält typischerweise Vorbemerkungen, die den wirtschaftlichen Hintergrund der Anleiherestrukturierung darstellen und den Beschlussvorschlag erläutern, sowie Hinweise zu den Rechtsgrundlagen und dem Abstimmungsprozedere.
  • Einladungsfrist und Abstimmungszeitraum. Die Aufforderung zur Stimmabgabe muss mindestens 14 Tage vor dem Beginn des Abstimmungszeitraums veröffentlicht werden. Der Abstimmungszeitraum dauert mindestens 72 Stunden.
  • Abstimmungsleitung und Stimmabgabe. Abstimmungsleiter der Abstimmung ohne Versammlung ist in der Regel ein von dem Anleiheemittenten beauftragter Notar. Er ist für die Auszählung der abgegebenen Stimmen und die Prüfung der Berechtigung zur Stimmabgabe verantwortlich. Zudem erstellt er das Verzeichnis der stimmberechtigten Anleihegläubiger und die Niederschrift zur Abstimmung ohne Versammlung. In der Regel haben die Anleihegläubiger ihre Stimme gegenüber dem Abstimmungsleiter innerhalb des Abstimmungszeitraums in Textform (§ 126b BGB) abzugeben. Möglich, wenn auch in Deutschland bislang nur selten genutzt, ist auch die Onlineabstimmung über das Clearingsystem, was bei Abstimmungen im anglo-amerikanischen Rechtsraum (sog. consent soliciations) längst das Standardprozedere darstellt.
  • Quorum und Mehrheitserfordernisse. Eine Abstimmung ohne Versammlung ist nur beschlussfähig, wenn wertmäßig mindestens 50 Prozent der ausstehenden Schuldverschreibungen bei der Abstimmung vertreten sind. Beschlüsse, durch welche der wesentliche Inhalt der Anleihebedingungen geändert wird, bedürfen zu ihrer Wirksamkeit zudem einer Mehrheit von mindestens 75 Prozent der teilnehmenden Stimmrechte (qualifizierte Mehrheit).
  • Vollzug des Beschlusses. Der gefasste Beschluss ist vor dessen Vollzug öffentlich bekannt zu machen. Erst nach Ablauf eines einmonatigen Anfechtungszeitraums nach der Bekanntmachung kann der Beschluss vollzogen werden.    

II. Zweite Gläubigerversammlung

Verfehlt die Abstimmung ohne Versammlung das erforderliche Präsenzquorum, kann der Abstimmungsleiter und/oder der einberufene Anleiheemittent nach Feststellung der mangelnden Beschlussfähigkeit eine zweite Gläubigerversammlung einberufen. Diese zweite Gläubigerversammlung muss zwingend eine Präsenzversammlung sein. Sie ist in jedem Fall beschlussfähig. Für Beschlüsse, zu deren Wirksamkeit eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist, müssen allerdings mindestens 25 Prozent der ausstehenden Schuldverschreibungen in der Gläubigerversammlung vertreten sein. Die teils umfangreichen Erleichterungen für die Durchführung von virtuellen Hauptversammlungen in Zeiten der Covid-19-Pandemie hat der Gesetzgeber bisher noch nicht auf die zweite Gläubigerversammlung erstreckt. Dies ist bedauerlich, da in der Praxis das erforderliche Quorum bei Inhaberschuldverschreibungen nicht selten im ersten Anlauf verfehlt wird. Es steht dem Anleiheemittenten jedoch frei, bei Verfehlen des Präsenzquorums zunächst noch einmal das Gespräch mit dem dann oftmals transparenteren Gläubigerkreis zu suchen und sein Vorhaben nach kurzer Zeit erneut im Wege eine Abstimmung ohne Versammlung zur Abstimmung nach dem oben dargestellten Verfahren zu stellen.

C. Möglichkeiten der Restrukturierung in der Insolvenz

Ob die Möglichkeit einer Änderung der Anleihebedingungen durch einen Mehrheitsbeschluss der Anleihegläubiger nach Maßgabe des SchVG auch nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens besteht, ist in der Literatur umstritten und höchstrichterlich bislang nicht geklärt. Insbesondere für den relevanten Fall eines Debt-to-Equity-Swaps ist daher unter Abwägung der Vor- und Nachteile in jedem Einzelfall zu entscheiden, ob eine Umwandlung der Forderungen aus der Schuldverschreibung in Eigenkapital nach den Vorschriften der Insolvenzordnung oder denen des SchVG erfolgen soll. Gerade im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens bieten sich jedoch auch hier Möglichkeiten, dass sich alle Beteiligten auf eine gemeinsame Lösung zur Restrukturierung der Anleihe verständigen.

D. Fazit

In der Krise bietet außerhalb der Insolvenz das SchVG Anleiheemittenten und -gläubigern die Chance, sich im Rahmen einer Abstimmung ohne Versammlung schnell und effizient auf eine Anpassung der Anleihebedingungen zu verständigen. So können absehbare Liquiditätsengpässe vermieden und eine mögliche finanzielle Schieflage bzw. Insolvenz bereits im Vorfeld abgewendet werden. Um diese Chance zu nutzen, sollte man jedoch schon frühzeitig mit einem kompromissfähigen Vorschlag auf die Anleihegläubiger zugehen. Durch vorausschauende Planung können dabei die Möglichkeiten einer Anleiherestrukturierung in der Krise ausgelotet werden.