Erwerbspreise für Wandelschuldverschreibungen sind bei der Ermittlung des Mindestpreises für Übernahme- und Pflichtangebote zu berücksichtigen
In einem für das Übernahmerecht grundlegenden Urteil (Az: II ZR 37/16; veröffentlicht auf der Homepage des BGH) hat der BGH am
7. November 2017 entschieden, dass auch die vom Bieter für den Erwerb von Wandelschuldverschreibungen der Zielgesellschaft gezahlten Preise bei der Ermittlung des Mindestpreises für ein Übernahmeangebot zu berücksichtigen sind. In diesem Beitrag bewerten Dr. Stephan Schulz und Dr. Volker Land die Entscheidung und ihre Praxisauswirkungen.
Was war passiert?
Im Vorfeld eines öffentlichen Übernahmeangebots erwarb der Bieter verschiedene Wertpapiere der Zielgesellschaft. Dabei handelte es sich einerseits um ein Aktienpaket zum Preis von EUR 23,50 pro Aktie. Andererseits kaufte er zwei verschiedene Pakete von Wandelschuldverschreibungen. Hierfür zahlte er, umgerechnet auf jede durch Wandlung entstehende neue Aktie, einen Preis von rd. EUR 30,95. Die so erworbenen Wandelschuldverschreibungen ließen die Wandlung in Aktien der Zielgesellschaft zu einem rechnerischen Wandlungspreis von EUR 19,05 bzw. EUR 21,66 zu.
Das anschließend abgegebene Übernahmeangebot sah einen Angebotspreis von EUR 23,50 vor. Der Bieter hatte sich dabei am Erwerbspreis für die Aktien orientiert und den Erwerbspreis für die Wandelschuldverschreibungen als nicht relevant für den Mindestpreis angesehen. Die Kläger standen auf dem entgegengesetzten Standpunkt. Sie verlangten vom Bieter die Zahlung des Differenzbetrags zu einem angemessenen Angebotspreis von EUR 30,95. Die Klage hatte Erfolg.
Worum geht es?
Nach § 31 Abs. 1 WpÜG hat der Bieter den Aktionären der Zielgesellschaft eine angemessene Gegenleistung anzubieten. Erwerbe von Aktien der Zielgesellschaft durch den Bieter sind hierbei zu berücksichtigen. Diese Regelung wird durch § 4 WpÜG-AngebVO konkretisiert. Hiernach muss die Gegenleistung mindestens dem Wert der höchsten vom Bieter gewährten oder vereinbarten Gegenleistung für den Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft innerhalb der letzten sechs Monate vor der Veröffentlichung der Angebotsunterlage entsprechen. Nach §§ 4 Satz 2 WpÜG-AngebVO, 31 Abs. 6 WpÜG sind dem Erwerb gleichgestellt „Vereinbarungen, aufgrund derer die Übereignung von Aktien verlangt werden kann“.
Der BGH hatte zu entscheiden, wie diese Vorschrift auszulegen ist. Legt man ein enges Verständnis an (wie die BaFin im Rahmen des Billigungsverfahrens für die Angebotsunterlage und die Erstinstanz), sind nur Vereinbarungen erfasst, die den Rechtsgrund für den Erwerb von Aktien bilden. Dann sind Kaufverträge über Wandelschuldverschreibungen nicht erfasst, weil hiernach nur die Übertragung der Wandelschuldverschreibungen verlangt werden kann. Ein Erwerb von Aktien erfolgt erst, wenn die Wandlungsrechte ausgeübt werden. Versteht man die Vorschrift dagegen weit, reicht es aus, dass die betreffende Vereinbarung nur die Grundlage für eine spätere Übereignung von Aktien in einem weiteren Schritt bildet.
Der Gerichtshof folgt im Ergebnis der zweiten Sichtweise und betont in seiner Urteilsbegründung den Charakter von § 31 Abs. 6 WpÜG als Regelung zum allgemeinen Umgehungsschutz in Bezug auf die Mindestpreisvorschriften des WpÜG und der WpÜG-AngebVO.
Was bedeutet das Urteil für die Praxis?
Die Aussagen des BGH lassen keinen Zweifel zu: Hat ein Bieter im Vorfeld eines Übernahme- oder Pflichtangebots Wandelschuldverschreibungen erworben, so ist der Erwerbspreis (d.h. Erwerbspreis für die Wandelschuldverschreibungen, umgerechnet auf die durch die Wandlung der Schuldverschreibung entstehenden neuen Aktien) bei der Ermittlung des Mindestpreises zu berücksichtigen. Entsprechend kann sich der Angebotspreis erhöhen, wenn solche Erwerbe vor der Schlussmitteilung gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpÜG oder außerbörslich innerhalb der Nacherwerbsfrist gem. § 31 Abs. 5 WpÜG getätigt werden. Potentielle Bieter haben diesen Umstand in Zukunft bei ihrer Transaktionsplanung zu berücksichtigen (eingehend zu den strategischen Optionen eines Bieters in diesen Fällen auch der Beitrag auf unserer Homepage „Wandelschuldverschreibungen bei der Übernahme börsennotierter Aktiengesellschaften“).
Das Urteil zeigt aber auch, dass eine Stellungnahme der BaFin (die im Fall des BGH der engeren Sichtweise gefolgt war) im Rahmen der Billigung der Angebotsunterlage dem Bieter keine Rechtssicherheit in Bezug auf die Höhe des Mindestpreises verschafft. Aktionäre haben nach der Rechtsprechung einen Anspruch gegen den Bieter auf Ersatz des Differenzbetrages zwischen dem Angebotspreis und einem höheren Mindestpreis, wenn ersterer den Mindestpreis unterschreitet. Diesem Anspruch kann die ursprüngliche Billigung der Angebotsunterlage nicht entgegengehalten werden.
Das könnte Sie auch interessieren: „Noerr Public M&A Report – Der deutsche Markt für öffentliche Übernahmen im ersten Halbjahr 2017“; „Wandelschuldverschreibungen bei der Übernahme börsennotierter Aktiengesellschaften“; „Chinesische Investoren am deutschen Markt für öffentliche Übernahmen“
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