Europäischer Gerichtshof klärt kartellrechtliche Zulässigkeit von Rabattsystemen
Bei dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 6. Oktober 2015, Rs. C-23/14, handelt es sich bereits um die zweite Entscheidung zu den Geschäftspraktiken des ehemaligen staatlichen Postunternehmens Dänemarks, Post Danmark. Während es im ersten Urteil vornehmlich um die Niedrigpreispolitik des ehemaligen Monopolisten ging, setzte sich der EuGH im vorliegenden Urteil mit der kartellrechtlichen Zulässigkeit eines Rabattsystems auseinander.
Rabattsysteme
Rabattsysteme sind im Geschäftsverkehr üblich und weit verbreitet. Ihr Einsatz wirft jedoch häufig kartellrechtliche Fragen auf. So können die in Lieferverträgen vereinbarten Rabatte gegen das Kartellverbot (§ 1 GWB, Art. 101 AEUV) verstoßen, wenn sie dazu führen, dass der Kunde verpflichtet wird, nahezu seinen gesamten Bedarf über einen Lieferanten zu decken. Bei der Beurteilung kommt es dann insbesondere auf die Marktanteile der Beteiligten sowie die Laufzeit der Vereinbarung an.
Zudem können marktbeherrschende Unternehmen mit dem (einseitigen) Einsatz von Rabattsystemen gegen das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung (§ 19 GWB, Art. 102 AEUV) verstoßen. Dies kommt in Betracht, wenn die Rabattsysteme bezwecken oder bewirken, dass Kunden diskriminiert bzw. Wettbewerber behindert oder verdrängt werden.
Im vorliegenden Urteil ging es insbesondere um die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Rabattsystem eines marktbeherrschenden Unternehmens eine wettbewerbswidrige Verdrängungswirkung entfalten kann. Der EuGH befasste sich auf Vorlage eines dänischen Gerichts mit einem Rabattsystem, durch das Post Danmark nach Auffassung der dänischen Kartellbehörde in den Jahren 2007 und 2008 ihre marktbeherrschende Stellung missbraucht hatte. Dieses Rabattsystem bestand aus standardisierten Mengenrabatten für Direktwerbesendungen mit gestaffelten Rabattsätzen bis zu 16%, die für alle Kunden einheitlich angewendet wurden. Der tatsächlich gewährte Rabatt wurde am Jahresende beurteilt und galt rückwirkend für alle seit Jahresbeginn aufgegebenen Sendungen.
Kategorisierung von Rabattsystemen
Dem Urteil lassen sich generelle Aussagen zur kartellrechtlichen Zulässigkeit von Rabattsystemen entnehmen, die über den konkreten Fall hinaus Bedeutung haben:
1. Reine Mengenrabatte im engeren Sinn, bei denen die Nachlässe ausschließlich an den Umfang der getätigten Käufe anknüpfen, sind grundsätzlich zulässig.
2. Treuerabatte (d.h., Rabatte, die unter der Bedingung gewährt werden, dass der Kunde seinen Gesamtbedarf oder einen wesentlichen Teil davon ausschließlich bei dem marktbeherrschenden Unternehmen deckt) sind per se missbräuchlich und daher grundsätzlich unzulässig.
3. Für Rabattsysteme, die nicht unter eine der beiden vorstehenden Kategorien fallen, muss dagegen die kartellrechtliche Zulässigkeit anhand einer Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls geprüft werden. In diese dritte Kategorie fallen auch Mengenrabatte im weiteren Sinn, die nicht für jede einzelne Bestellung und damit entsprechend den vom Verkäufer erzielten Einsparungen gewährt werden, sondern stattdessen an die Bestellungen innerhalb eines Referenzzeitraums anknüpfen. Zu den zu berücksichtigenden Umständen zählen insbesondere die Kriterien und Modalitäten der Rabattgewährung (z.B. Geltung nur für getätigte Käufe oberhalb der festgesetzten Schwelle oder „rückwirkend“ für alle Käufe innerhalb des Referenzzeitraums; Länge des Referenzzeitraums), der Umfang der Marktmacht des betreffenden Unternehmens sowie die Wettbewerbsbedingungen auf dem relevanten Markt.
Fazit
Das Urteil enthält wichtige Klarstellungen zur kartellrechtlichen Zulässigkeit von Rabattsystemen. Unternehmen mit hohen Marktanteilen, die ein Rabattsystem einsetzen wollen, stellt es jedoch vor ernstzunehmende Schwierigkeiten. Der EuGH zieht die Definition sowohl für grundsätzlich unbedenkliche „bloße“ Mengenrabatte als auch für per se missbräuchliche Treuerabatte sehr eng. Die meisten Rabattsysteme dürften daher in die dritte Kategorie fallen, für die sich eine Ex-ante-Bewertung der (EU-)kartellrechtlichen Zulässigkeit in der Praxis als schwierig erweisen dürfte. Unternehmen sollten daher ihre Rabattsysteme sorgfältig notfalls unter Hinzuziehung externer Kartellrechtsexperten überprüfen.
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