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Preis­bindungs­verbot im Lebens­mittel­einzel­handel – Öffentliche Konsultation bis 10.03.2017

01.02.2017

Das Bundeskartellamt hat am 25.01.2017 den Entwurf eines Hinweispapiers zu Fragen des Preisbindungsverbots im Bereich des stationären Lebensmitteleinzelhandels („Hinweispapier“; hier abrufbar) veröffentlicht. Das Hinweispapier soll Unternehmen der Branche als Leitfaden dienen und sie anhand von Praxisbeispielen über Hintergrund, Zweck und Reichweite des Preisbindungsverbots im Lebensmitteleinzelhandel informieren. Ausdrücklich gerichtet ist das Papier auch an – insbesondere kleine und mittlere – Unternehmen, die bisher nicht fortlaufend und speziell kartellrechtlich beraten wurden. Interessierte Kreise können zu dem Entwurf bis zum 10.03.2017 Stellung nehmen.

Hintergrund

Die Veröffentlichung des Hinweispapiers ist das Resultat der Entwicklungen der letzten Jahre, die im Januar 2010 mit Durchsuchungen bei zahlreichen führenden Handelsunternehmen und Markenherstellern wegen des Verdachts auf illegale Preisabsprachen ihren Anfang nahmen (sog. Vertikalfall). Das Bundeskartellamt schloss seine Ermittlungen zum Vertikalfall erst im vergangenen Jahr mit Geldbußen gegen Händler und Hersteller des Lebensmitteleinzelhandels („LEH“) in Höhe von insgesamt EUR 260,5 Mio. wegen vertikaler Preisabsprachen ab.

Eine erste Hilfestellung zur (vorläufigen) Bewertung vertikaler Praktiken im LEH versuchte das Bundeskartellamt bereits im April 2010 mit einer sog. Handreichung zu geben. In der Praxis trug die Handreichung aber eher noch zur Verunsicherung im Hinblick auf die Reichweite des Preisbindungsverbots bei. Mit Abschluss der meisten Verfahren zum Vertikalfall und der Veröffentlichung des – umfassenderen – Hinweispapiers wird diese Handreichung nunmehr ohnehin gegenstandslos werden. Zusätzliche Erkenntnisse zog das Bundeskartellamt aus seiner von 2011 bis 2014 durchgeführten Sektoruntersuchung zum LEH in Deutschland (hier abrufbar).

Das nun veröffentliche Hinweispapier vereint diese gesammelten Erfahrungssätze und soll Händlern und Herstellern der Branche auf dieser Grundlage als Leitfaden und Orientierungshilfe dienen.

Inhalt des Hinweispapiers

Wie bereits zuvor schon die Handreichung beschäftigt sich auch das Hinweispapier lediglich mit vertikalen Preisbindungen, d.h. Preisvereinbarungen auf verschiedenen Stufen der Vertriebskette. Zur – weiterhin nicht abschließend geklärten – kartellrechtlichen Bewertung von Vertriebsmodellen im Internet etwa äußert sich das Hinweispapier dagegen ausdrücklich nicht. Entsprechend seiner Zielsetzung als Leitfaden und Orientierungshilfe für möglichst alle Unternehmen der Branche folgt das Hinweispapier einem umfangreichen, gleichzeitig jedoch auch notwendigerweise verallgemeinerten und bewusst vereinfachten Informationsansatz:

  • Der erste Teil des Hinweispapiers thematisiert den rechtlichen und ökonomischen Hintergrund des Preisbindungsverbots und erläutert dabei zunächst die rechtlichen Grundlagen des deutschen und europäischen Kartellverbots. Recht ausführlich werden Effizienzpotentiale von Preisbindungsstrategien, aber auch deren wettbewerbsschädliche Wirkungen behandelt. Das Bundeskartellamt macht darin einmal mehr deutlich, dass es vertikalen Verhaltensweisen in der Branche eher kritisch gegenübersteht und unverändert von einer sehr starken Marktposition einiger weniger Handelsunternehmen im Verhältnis zur Lebensmittelindustrie ausgeht.

  • Der zweite Teil des Hinweispapiers – für Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels, aber auch darüber hinaus gewiss am interessantesten – betrifft die kartellrechtliche Beurteilung in der Praxis und enthält eine Reihe von praktischen Beispielen, die das Bundeskartellamt aus den Erfahrungen im Vertikalfall gebildet hat und im Hinweispapier einer kartellrechtlichen Bewertung zuführt. Dieser Teil des Hinweispapiers gliedert sich dabei in folgenden Themenkomplexe:

    (i) Vereinbarung von Fest- und Mindestpreisen:

    Vereinbarungen über den Wiederverkaufspreis (Ladenverkaufspreise – „LVP“) sind nach Ansicht des Bundeskartellamts regelmäßig unzulässig, da sie der autonomen Preissetzung des Handels zuwiderlaufen und dem Preiswettbewerb auf der Handelseben schaden. Aus Sicht des Amtes liegt eine kartellrechtlich unzulässige Vereinbarung nicht nur im Falle einer unmittelbaren Festlegung von (Mindest-)LVP vor, sondern auch dann, wenn nur Spannenaufschläge auf den Einkaufspreise vereinbart oder dynamische Festlegungen (Anknüpfen an den LVP eines dritten Händlers) getroffen werden. Dabei hält es das Bundeskartellamt zudem nicht für erforderlich, dass die Vereinbarung durch Ausübung von Druck (z.B. Androhung eines Lieferstopps) oder das Setzen von Anreizen (etwa „Preispflegerabatt“ zu Gunsten des Händlers) zustande kommt, solange die Vereinbarung oder Abstimmung auf einem gleichgerichteten Interesse von Hersteller und Händler beruht.

    Zudem hebt das Bundeskartellamt hervor, dass ein Hersteller schon dann gegen das Kartellrecht verstoße, wenn er gegenüber dem Händler nur einseitig Druck ausübe oder Anreize setze, einen bestimmten LVP einzuhalten (vgl. auch § 21 Abs. 2 GWB).

    (ii) Unverbindliche Preisempfehlungen UVP:

    Das (einseitige) Aussprechen – und sogar Erläutern – von UVP durch den Hersteller ist demgegenüber nach Ansicht des Bundeskartellamts grundsätzlich erlaubt. Dies gelte allerdings nur so lange, als die Unverbindlichkeit der Empfehlung vom Hersteller nicht in Frage gestellt werde und dem Händler auch keine Zusatzinformationen (etwa das Versprechen, dass auch dritte Händler die UVP einhalten würden) geliefert würden, um dessen Preisfindung zu beeinflussen. Bewege sich der Hersteller im zulässigen Rahmen, dürfe der Händler auch der UVP folgen, ohne dadurch einen Kartellverstoß zu begründen. Als Vorsichtsmaßnahme empfiehlt das Bundeskartellamt Händlern jedoch, jegliche Rückäußerungen an den Herstellern zu vermeiden, die den Anschein einer Zusage erwecken könnten, die UVP zu befolgen.

    (iii) Mengenmanagement/Aktionsplanung:

    Der Themenkomplex „Mengenmanagement/Aktionsplanung“ betrifft die Kommunikation zwischen Hersteller und Händler im Zusammenhang mit der Planung und Durchführung von Verkaufsaktionen des Händlers. Nach Ansicht des Bundeskartellamts ist es insbesondere kartellrechtlich zulässig, Aktionszeiträume bereits im Jahresgespräch vorab festzulegen. Aus Gründen des Mengenmanagements bedürfe der Hersteller einer rechtzeitigen Information über den – regelmäßig erhöhten – Aktionsbedarf des Händlers. Dabei dürfe der Hersteller auch die Aktionen dritter Händler in den Blick nehmen, um eine zeitgleiche Veraktionierung zu vermeiden. Kartellrechtliche Bedenken bestünden demgegenüber vor allem dann, wenn der Händler den Hersteller über den geplanten Aktions-LVP informiert.

    (iv) Spannengarantien/Nachverhandlungen:

    Im Themenkomplex „Spannengarantien/Nachverhandlungen“ befasst sich das Bundeskartellamt zum einen mit der kartellrechtlich äußerst komplexen Frage, ob der Hersteller gegenüber dem Händler eine Spannengarantie abgeben darf, um das Risiko einer Fehleinschätzung der Marktentwicklung zu übernehmen. Zum anderen positioniert sich das Amt zur Zulässigkeit von nachträglichen Ausgleichsforderungen im Rahmen von Nachverhandlungen. Beiden Fallgruppen ist gemein, dass durch Vereinbarungen von der üblichen Risikoverteilung abgewichen wird und auch an die Erträge bzw. künftigen Ertragserwartungen des Handels angeknüpft wird. Vorbehaltlich der besonderen Verhaltensvorschriften für marktstarke bzw. marktbeherrschende Unternehmen hält das Bundeskartellamt derartige Garantien oder Ausgleichsforderungen für kartellrechtlich grundsätzlich zulässig, erläutert jedoch eingehend anhand von Praxisbeispielen, wann es bereits zu einer verbotenen Preisbindung kommen könne.

    (v) Nichtaufnahme/Abbruch von Geschäftsbeziehungen:

    Zum Themenkomplex der Nichtaufnahmen bzw. des Abbruchs von Geschäftsbeziehungen stellt das Bundeskartellamt klar, dass – außerhalb des kartellrechtlichen Missbrauchsverbots – keine Belieferungspflicht von Herstellern gegenüber Händlern besteht. Ein Herstelle dürfe etwa auch dann eine Belieferung verweigern bzw. abbrechen, wenn die Gestaltung der LVP durch den Händler nicht mit seiner Vorstellung von einer preislichen Platzierung im Markt vereinbar sei. Dabei müsse es aber bei einer autonomen Entscheidung des Herstellers bleiben und der Hersteller dürfe mit dem Abbruch der Geschäftsbeziehung oder einer entsprechenden Drohung nicht die Preisgestaltung des Händlers unzulässig beeinflussen. Dabei kann es nach Ansicht des Bundeskartellamts schon ausreichend sein, wenn der Hersteller entsprechende Andeutungen mache, etwa dahingehend, dass eine Weiterbelieferung des Händler bei Anpassung seiner Verkaufspreise an die Vertriebspolitik des Herstellers in Betracht komme.

    (vi) Fragen des Datenaustauschs zwischen Händlern und Herstellern:

    Schließlich anerkennt das Bundeskartellamt das Interesse des LEH, Absatzdaten (insbesondere Mengen und LVP) direkt zwischen Händlern und Herstellern auszutauschen, und hält einen solche Datenaustausch grundsätzlich ebenfalls für zulässig. Aus Sicht des Bundeskartellamts besteht ein legitimes Interesse der Hersteller, belastbare Absatzdaten direkt von Händlern – und nicht über Marktforschungsinstitute – zu beziehen, sowie auch der Händler, durch die Datenlieferung zusätzliche Erträge zu erwirtschaften. Der kartellrechtlich zulässige Bereich werde allerdings dann überschritten, wenn der Datenaustausch (auch) für eine Abstimmung des Preissetzungsverhaltens zwischen Hersteller und Händler oder zwischen Händlern – vermittelt durch den Hersteller – genutzt werde. Neben dem kartellrechtlich bedenklichen Austausch zukunftsbezogener Absatzdaten könne auch der Austausch von Absatzdaten aus der Vergangenheit kartellrechtlich kritisch sein. Ein wesentliches, jedoch nicht das alleinige Indiz für das Vorliegen einer Preisbindung stellt aus Sicht des Bundeskartellamts in diesem Fall die Aktualität der Absatzdaten dar. In der Regel müssten aber weitere Indizien (etwa Interventionen des Herstellers oder rasche Reaktionen anderer Händler) hinzutreten, um einen Kartellrechtsverstoß zu begründen.

  • Im letzten und dritten Teil des Hinweispapiers wird die Verfahrensgestaltung des Bundeskartellamts erläutert. Darin äußert sich das Bundeskartellamt zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen es überhaupt gegen Unternehmen ein Verfahren wegen des Verdachts auf einen Verstoß gegen das Preisbindungsverbot einleitet (Fallpriorisierung unter Ressourcengesichtspunkten), und auf welche Verfahrensart (Verwaltungs- oder Bußgeldverfahren) es dabei zurückgreift. Im Bereich des LEH spielen dabei nach Ansicht des Bundeskartellamts die Besonderheiten der Marktstruktur sowie der jeweiligen Produktart eine entscheidende Rolle: Neben der Marktposition des Herstellers und des Händlers, Dauer und Grad des mutmaßlichen Verstoßes kommen auch Fragen der Intensität der Bindungswirkung sowie des Ausmaßes der mutmaßlich verursachten direkten Schäden – insbesondere beim Endverbraucher – zum Tragen.

Ausblick

Das Hinweispapier soll Unternehmen des LEH ausdrücklich als Leitfaden und Orientierungshilfe für Fragen der Preisbindung dienen. Die Ausführlichkeit und zahlreichen Fallbeispiele sind dabei der Zielsetzung geschuldet, sich ausdrücklich auch an nicht speziell kartellrechtlich beratene Unternehmen kleinerer oder mittlerer Größe zu richten. Dies ist im Grundsatz zu begrüßen, da das Hinweispapier insbesondere als erste Hilfestellung dienen kann. Dass sich hieraus für Unternehmen aber auch langfristig und dauerhaft Rechtssicherheit ergibt, darf bezweifelt werden, nicht zuletzt da sich das Bundeskartellamt weiterhin weite Ermessensentscheidungen vorbehält.

Zudem geben die Hinweise allein die Auffassung des Bundeskartellamts zur Reichweite des Preisbindungsverbots wieder und dies auch nur für den Bereich des LEH. Weder die Europäische Kommission noch ausländische Kartell- und Wettbewerbsbehörden noch Gerichte sind an diese Einschätzungen gebunden. Neben der Vertikal–Gruppenfreistellungsverordnung und den sog. Vertikal-Leitlinien der Europäischen Kommission sind auch Einschätzungen anderer Mitgliedsstaaten (z.B. der Leitfaden der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde, hier abrufbar) zu berücksichtigen. Eine eingehende einzelfallbezogene anwaltliche Prüfung und Beratung in Kartellrechts- und Compliance-Fragen bleibt damit auch weiterhin unverzichtbar.

Aktuell handelt es sich bei dem Hinweispapier noch um einen Entwurf für die öffentliche Konsultation. Interessierte Kreise haben die Möglichkeit, Stellungnahmen bis zum 10.03.2017 einzureichen. Nach Abschluss des Konsultationsverfahrens wird das Bundeskartellamt sodann die finale Fassung des Hinweispapiers veröffentlichen.

Haben Sie Fragen? Kontaktieren Sie gerne: Dr. Fabian Badtke, Robert Pahlen
Practice Group: Kartellrecht

 

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