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Verbraucher­schutz: Muster­leistungs­klagen mit Zivil­prozess­recht vereinbar?

13.12.2016

I. Hintergrund

Am 22. April 2016 hat die Verbraucherschutzministerkonferenz die Einführung einer Musterleistungsklage in Verbraucherangelegenheiten vorgeschlagen. Ziel ist es, dass Schadensersatzansprüche von Verbrauchern in einheitlich angelegten Sachverhalten kollektiv durchgesetzt werden können. Insbesondere in Fällen wie dem sogenannten „Abgasskandal“ sollen Verbraucher effektiver geschützt und die Gerichte entlastet werden. Das Bundesjustizministerium hatte bislang lediglich ein auf Feststellung beschränktes Massenverfahren in Verbraucherangelegenheiten, ähnlich dem Kapitalanleger-Musterverfahren nach dem Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten („KapMuG“), vorgeschlagen.

Der Beitrag „Effizienzsteigerung oder Systembruch? – Der Vorschlag der Verbraucherschutzministerkonferenz zur Einführung von Musterleistungsklagen in Verbraucherangelegenheiten“ in BB 2016, 3018 ff. geht der Frage nach, ob die Einführung eines Rechtsinstruments, wie von den Verbraucherschutzministern angedacht, mit dem System des deutschen Zivilprozessrechts vereinbar ist.

II. Ergebnisse im Überblick

 

  • Der Massenleistungsklage soll nach dem Vorschlag der Verbraucherschutzministerkonferenz eine weitreichende Bindungswirkung zukommen. Eine solche ist aber bereits mit den Prinzipien der Zivilprozessordung („ZPO“) hinsichtlich der persönlichen, sachlichen und zeitlichen Reichweite der Rechtskraft nicht vereinbar.
  • Hinzu kommt, dass die Zwecke der Leistungsklage nur unzureichend mit einem Musterverfahren erreicht werden können. Anders als ein Feststellungsurteil bindet ein Leistungsurteil den Richter eines Folgerechtsstreits nur, wenn die res iudicata eine Vorfrage für die Entscheidung über einen anderen Streitgegenstand klärt. In Fällen, in denen z.B eine individuelle Leistungsklage eines Verbrauchers auf eine Massenfeststellungsklage folgt, wäre dies gerade nicht der Fall. Mit dieser Konzeption ist die Idee einer Musterleistungsklage nicht vereinbar. Denn sie würde den eigenständigen Anwendungsbereich des Instruments der Feststellungsklage in Frage stellen.
  • Auch wird es einem potentiellen Anspruchsinhaber in Verfahren, die einer Massenleistungsklage zugänglich wären, in der Regel nur schwer möglich sein, die Schadenshöhe bereits im Detail oder – bei unbeziffertem Klageantrag – zumindest ungefähr benennen zu können. Das Erfordernis eines hinreichend bestimmten Leistungsantrags gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO wird damit regelmäßig nicht zu erfüllen sein.
  • Zudem fordert die Konzeption des deutschen Zivilprozessrechts, den Sachverhalt stets konkret darzulegen und ggf. zu beweisen. Mit diesem individualistisch geprägten Rechtsschutzsystem scheint es unvereinbar, aus einer Vielzahl von möglichen Ansprüchen bestimmte Einzelfälle herauszugreifen, um bei diesen Darlegung und Beweis anspruchsbegründender Tatsachen als allgemeingültig und bindend für die übrigen möglichen Ansprüche anzuerkennen. Insoweit kann der Rechtsgedanke der US-amerikanischen Class Action, wonach sich der Beweis von Tatsachen auf alle Angehörige der Klägergruppe erstreckt, sofern diese für die Gruppe „typisch“ sind, nicht auf das deutsche Zivilprozessrecht übertragen werden.
  • Das vorgeschlagene Massenleistungsklageverfahren birgt ferner die Gefahr der Verletzung rechtlichen Gehörs, wenn dem Einzelnen ein umfassender Tatsachenvortrag aufgrund der Eigenarten des Massenverfahrens nicht möglich sein sollte. Eine Vorgehensweise nach dem Vorbild der US-amerikanischen Sub Classes als einer Art Untergruppierung von ähnlich gelagerten Sachverhalten in dem Masseverfahren passt für das deutsche Rechtsschutzsystem aufgrund seines Individualrechtsschutzgedankens nicht.

III. Konsequenzen

  • Im Ergebnis ist daran zu zweifeln, ob sich die Einführung einer Massenleistungsklage nach dem Vorschlag der Verbraucherschutzministerkonferenz systemkohärent in die ZPO einfügen kann.
  • Stattdessen könnte im Einklang mit dem Vorschlag des Bundesjustizministeriums ein Musterfeststellungsklageverfahren für Verbraucherangelegenheit geschaffen werden, das sich an dem bestehenden KapMuG orientiert. Sachverhaltselemente, die einen gemeinsamen Kern aufweisen, könnten so gleichsam „vor die Klammer“ gezogen und einheitlich durch das Massenverfahren verbindlich festgestellt werden.

 

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