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Whistleblower-Richtlinie: Interne Melde­stellen – Einrichtungs­pflicht und Gestaltungs­spielräume

01.12.2021
In Teil 1 dieser Beitragsreihe wurden die Zielrichtung, der Harmonisierungsgrad sowie die wesentlichen inhaltlichen Vorgaben der bis zum 17.12.2021 in deutsches Recht umzusetzenden Whistleblowing-Richtlinie (nachfolgend: „WB-RL“) näher beleuchtet. Anknüpfend hieran wird in diesem Teil 2 der Beitragsreihe die in der WB-RL vorgesehene Pflicht zur Implementierung interner Hinweisgeber-Systeme praxisbezogen erörtert:

Der Unionsgesetzgeber bringt in der WB-RL zur Erreichung des Richtlinienziels (Verbesserung der Durchsetzung des Unionsrechts und der Unionspolitik) zwei Rechtsinstrumente zum Einsatz: ein europaweit angeglichenes hohes Schutzniveau für Hinweisgeber vor Repressalien und eine Pflicht zur Etablierung interner wie externer Hinweisgeber-Systeme.

Besonderes Augenmerk sollten Unternehmen hier auf die zwingend in nationales Recht umzusetzenden Vorgaben der WB-RL bezüglich der Pflicht zur Einrichtung und für den Betrieb interner Hinweisgeber-Systeme richten. Diese stellen Unternehmen in operativer Hinsicht häufig vor Herausforderungen. Angesichts dessen und der bevorstehenden Umsetzung der WB-RL sollten sich Unternehmen bereits jetzt mit diesen Vorgaben vertraut machen. Es sollte insbesondere geprüft werden, 

  1. ob für das Unternehmen eine Pflicht zur Einrichtung eines Hinweisgeber-Systems besteht,
  2. welche zwingenden Vorgaben der WB-RL zu beachten sind, bzw.
  3. – falls bereits interne Meldestrukturen im Unternehmen bestehen – inwieweit diese an die verpflichtenden Vorgaben der WB-RL angepasst werden müssen.

A. Reichweite der Einrichtungspflicht

1. Arbeitnehmeranzahl oder Tätigkeitsfeld als maßgebliches Kriterium

Der Unionsgesetzgeber legt in Art. 8 WB-RL fest, welche Unternehmen durch die Mitgliedstaaten (mindestens) zur Einrichtung interner Meldekanäle verpflichtet werden müssen. Ausnahmetatbestände zur Entlastung von Unternehmen sind insoweit nicht vorgesehen.

Maßgebliches Kriterium für das Bestehen einer Einrichtungspflicht für Unternehmen ist deren Arbeitnehmeranzahl oder Tätigkeitsbereich. Danach müssen zunächst alle Unternehmen mit 50 oder mehr Arbeitnehmern interne Hinweisgeber-Systeme einrichten (Art. 8 Abs. 5 WB-RL).

Unabhängig von ihrer Arbeitnehmerzahl besteht für Unternehmen eine Einrichtungspflicht, die im besonders „störanfälligen“ Bereich des Finanzwesens und der Kapitalmärkte tätig sind (Art. 8 Abs. 4 i. V. m. Teil I Ziff. B. und Teil II des Anhangs der WB-RL).

Darüber hinaus liegt es im Ermessen der Mitgliedstaaten, die Einrichtungspflicht nach einer „geeigneten Risikobewertung“ auch auf weitere Unternehmen auszuweiten, die an sich weder den genannten Schwellenwert überschreiten noch in der Finanzbranche tätig sind (Art. 8 Abs. 7 WB-RL). Inwieweit der nationale Gesetzgeber hiervon Gebrauch machen wird, ist gegenwärtig (noch) nicht absehbar.

Praxishinweis:

Obwohl die Einrichtungspflicht damit zwar nicht alle Unternehmen trifft, sollten auch Unternehmen mit weniger als 50 Arbeitnehmern die Implementierung interner Hinweisgeberstrukturen erwägen. Hierdurch können externe Meldungen verhindert werden, die durch die WB-RL den gleichen Schutz erfahren wie interne Hinweise.

2. Meldegegenstände und Nutzbarkeit

Aus dem Anwendungsbereich der WB-RL leiten sich überdies die zwingend zulässigen Meldegegenstände und meldeberechtigten Personen für interne Meldekanäle ab.

a. Meldegegenstände

Aufgrund des beschränkten sachlichen Anwendungsbereichs der WB-RL (vgl. hierzu Teil 1 dieser Beitragsreihe) erstreckt sich die Einrichtungspflicht grundsätzlich nur auf bestimmte Meldegegenstände – nämlich auf Verstöße gegen das vom Anwendungsbereich der WB-RL umfasste Unionsrecht. Zur Erfüllung der Richtlinienvorgaben müssen Unternehmen daher „nur“ die Meldung von rechtswidrigem oder rechtsmissbräuchlichem Fehlverhalten ermöglichen, das vom Anwendungsbereich der WB-RL erfasste Rechtsbereiche betrifft (z. B. das öffentliche Auftragswesen oder die Produktsicherheit und -konformität).

Praxishinweis:

Ausweislich des Koalitionsvertrags plant die neue Bundesregierung eine überschießende Umsetzung der WB-RL, d. h. die Erstreckung des hohen Schutzniveaus für Hinweisgeber auf weitere (sonstige) Meldegegenstände (siehe hierzu auch „Unternehmen aufgepasst: Überschießende Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie kommt“ vom 25.11.2021). Dies kann auch von Unternehmen mit bereits bestehenden Meldestrukturen die Bündelung und den Einsatz weiterer Ressourcen erfordern, um dem erweiterten Spektrum an gesetzlich oktroyierten Meldegegenständen beim operativen Betrieb der Meldekanäle hinreichend gerecht zu werden.

Unabhängig von der Reichweite der nationalen Umsetzung bleibt es für Unternehmen weiterhin zulässig, den Einsatzbereich ihrer Hinweisgeber-Systeme über gesetzliche Pflichten hinaus zu erstrecken. So kann Mitarbeitern die Meldung jeglicher Missstände ermöglicht werden (etwa die Meldung von Verstößen gegen geltendes Recht, gegen den betriebsinternen Verhaltenskodex sowie auch gegen ethische und moralische Grundsätze).

b. Nutzbarkeit

Interne Hinweisgeber-Systeme müssen laut der WB-RL (Art. 8 Abs. 2 WB-RL) nur für Hinweise von Arbeitnehmern desselben Unternehmens zur Verfügung stehen (zum Fehlen eines Konzernprivilegs, vgl. sogleich unter B.).

Unternehmen sollten jedoch erwägen, ihre Hinweisgeber-Systeme auch für Lieferanten und sonstige Geschäftspartner zu öffnen. Für diesen Personenkreis müssen die Meldekanäle zwar nicht zwingend zur Verfügung stehen. Jedoch erstreckt sich der in der WB-RL vorgesehene Schutz vor Repressalien auch auf diesen. Im Unternehmensinteresse sollten solche Personen deshalb ebenfalls zu einer vorrangigen internen Meldung „animiert“ werden. Diesem Personenkreis sollte der Zugang zum Hinweisgeber-System gewährt werden, um unnötige Reputationsverluste durch eine externe Meldung zu vermeiden.

B. Organisatorische Vorgaben

Angesichts der erheblichen Ressourcenbindung, die mit dem Betrieb eines Hinweisgeber-Systems einhergeht, greifen Unternehmen regelmäßig auf die Unterstützung externer Dienstleister wie Ombudsmänner oder kommerzielle Anbieter von Hinweisgeber-Systemen zurück. Dies bleibt grundsätzlich auch unter der WB-RL zulässig (Art. 8 Abs. 5 WB-RL). Allerdings gilt dies nur für die Auslagerung von Meldestrukturen auf „echte“ Dritte, d. h. auf Personen/Stellen außerhalb des Unternehmens oder des betreffenden Konzerns, worunter weder die Muttergesellschaft noch andere Gesellschaften einer Unternehmensgruppe/eines Konzerns fallen.

Zur Erleichterung für sog. medium-sized-companies“ (50-249 Arbeitnehmer) sieht die WB-RL überdies die Möglichkeit zur Ressourcenteilung vor (Art. 8 Abs. 6 WB-RL). Diese Unternehmen können eine gemeinsame Meldestelle einrichten. Ein bei der Muttergesellschaft angesiedeltes konzernweites Hinweisgeber-System stellt keine solche Ressourcenteilung dar, selbst wenn dieses für mehre Tochterunternehmen mit max. 249 Mitarbeitern betrieben wird.

Praxishinweis:

Die WB-RL sieht folglich kein sog. „Konzernprivileg“ vor. Jede Konzerngesellschaft ist damit verpflichtet, eigenverantwortlich ein Hinweisgeber-System zu betreiben. Dies dürfte für eine Vielzahl von Konzerngesellschaften akuten Handlungsbedarf bedeuten.

C. Ausgestaltung der Meldekanäle

Die WB-RL sieht folgende zwingende Vorgaben für die Ausgestaltung interner Hinweisgeber-Systeme vor:

    • Wahrung der Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers und Dritter, die in der Meldung erwähnt werden; kein Zugriff auf Meldung durch unbefugte Mitarbeiter (Art. 9 Abs. 1 lit. a) und 16 WB-RL);
    • Dokumentation (Art. 18 WB-RL) eingehender Meldungen (Sonderregeln für telefonisch oder mittels sonstiger Art der Sprachübermittlung übermittelter Hinweise); ggfs. ist dem Hinweisgeber die Dokumentation zu Verifizierungszwecken vorzulegen;
    • Bestätigung des Eingangs der Meldung innerhalb von sieben Tagen nach ihrem Erhalt (Art. 9 Abs. 1 lit. b) WB-RL);
    • Benennung einer unparteiischen Person oder Abteilung als zuständige Stelle für Folgemaßnahmen (Art. 9 Abs. 1 lit. c) WB-RL);
    • Ergreifung ordnungsgemäßer Folgemaßnahmen (Art. 9 Abs. 1 lit. d) WB-RL);
    • Rückmeldung zu ergriffenen oder geplanten Folgemaßnahmen spätestens innerhalb von drei Monaten ab der Bestätigung des Eingangs der Meldung (d. h. spätestens nach drei Monaten und sieben Tagen, Art. 9 Abs. 1 lit. f) WB-RL);
    • Erteilung klar und leicht zugänglicher Informationen über die Nutzung interner Meldekanäle sowie über die Verfahren für externe Meldungen (Art. 7 Abs. 3 und 9 Abs. 1 lit. g) WB-RL).

Gestaltungsspielräume für Unternehmen bestehen bei:

    • Meldewegen: Die WB-RL schreibt lediglich vor, dass die Meldung in schriftlicher oder mündlicher oder in beiden Formen sowie auf Ersuchen auch durch physische Zusammenkunft erfolgen können muss (Art. 9 Abs. 2 WB-RL).
    • Entgegennahme/Weiterverfolgung anonymer Hinweise: Die WB-RL verlangt keine Etablierung anonymer Hinweisgeber-Systeme bzw. der Möglichkeit zur anonymen Hinweisabgabe (Art. 6 Abs. 2 WB-RL).
    • Folgemaßnahmen: Die WB-RL schreibt keine bestimmten Folgemaßnahmen vor, sondern benennt diese allein beispielhaft, etwa interne Nachforschungen, Ermittlungen oder Abschluss des Verfahrens (Art. 5 Nr. 12 WB-RL).

Praxishinweis:

Soweit die WB-RL verbindliche Vorgaben vorsieht, sollten Unternehmen deren Einhaltung schon jetzt dringend sicherstellen. Im Bereich der Gestaltungsspielräume bleibt abzuwarten, ob der deutsche Gesetzgeber diese durch zusätzliche Verfahrensvorgaben einengt oder Unternehmen weiterhin eine für die betrieblichen Strukturen passgenaue Etablierung interner Hinweisgeber-Systeme ermöglicht.

Nachdem vorstehend die für Unternehmen besonders relevante Einrichtungspflicht interner Hinweisgeber-Systeme näher erörtert wurde, wird in Teil 3 der Beitragsreihe ergänzend ein besonderer Fokus auf die organisatorische Eingliederung interner Meldekanäle in konzernangehörigen Unternehmen gelegt. Als Ausfluss effektiven Ressourcenmanagements haben sich in der Unternehmenspraxis konzernweite Meldestellen als geeignetes Instrument zum Umgang mit internen Hinweisen etabliert. Wie oben unter B. ausgeführt, wird dies unter Geltung der WB-RL zur Erfüllung der Einrichtungspflicht nicht ausreichen. Teil 3 dieser Beitragsreihe widmet sich deshalb der Frage, ob eine und wenn ja welche Ressourcenteilung bei der Implementierung interner Hinweisgeberstrukturen nach Umsetzung der WB-RL in deutsches Recht überhaupt noch möglich ist.

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