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Arbeitsschutz-Compliance – ein unterschätztes Haftungsrisiko für Unternehmen

04.01.2022

Arbeitsschutz  und Arbeitssicherheit fristen in vielen Unternehmen eher ein Schattendasein, was nicht zuletzt auf die geringere Anzahl von Kontrollen durch die Staatlichen Arbeitsschutzbehörden zurückzuführen sein dürfte: Der europäische SLIC-Report von 2017 hatte mehr oder minder unverhohlen auf den rechtspolitisch unerwünschten Ausfall hoheitlicher Arbeitsschutzaufsicht in Deutschland hingewiesen. Die Personalressourcen der Aufsichtsbehörden der föderal zuständigen Länder reichen nicht mehr aus, um eine angemessene Besichtigungsfrequenz – gerade im Wege aktiver Betriebsbesuche – sicherzustellen. Zudem sei das Personal strukturell überaltert, sodass in den nächsten Jahren ein massiver Know-how-Verlust durch Pensionierungen zu erwarten sei. Auch auf die dürftige Nutzung digitaler Informations- und Erfassungswege sowie die rückläufige Entwicklung von Sanktionen bei Arbeitsschutzverstößen weist der SLIC-Report 2017 sehr kritisch hin.

Nicht zuletzt auf die zu geringe Anzahl von Kontrollen hat der Gesetzgeber jüngst reagiert und durch das Arbeitsschutzkontrollgesetz 2021 fast unbemerkt gravierende Änderungen des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) beschlossen.

Einführung einer Mindestbesichtigungsquote

So haben bis zum Kalenderjahr 2026 die zuständigen Behörden für Arbeitsschutz sicherzustellen, dass mindestens 5 Prozent der im Bundesland vorhandenen Betriebe pro Kalenderjahr besichtigt werden. Dies wird zu einer deutlichen Zunahme von Betriebsbesichtigungen führen, setzt aber zuvor eine personelle Aufstockung voraus.

Direkte Übermittlung an Unfallversicherungsträger

Zudem müssen ab dem 1.1.2023 die Arbeitsschutzbehörden die Ergebnisse der durchgeführten Betriebsbesichtigungen elektronisch direkt an den zuständigen Unfallversicherungsträger (die Berufsgenossenschaften) übermitteln. Die zu übermittelnden Daten beinhalten die Bewertung der Arbeitsschutzorganisation einschließlich der Unterweisung und die Bewertung der gesetzlich vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilungen einschließlich der Ermittlung von Gefährdungen und Festlegung von Maßnahmen, der Prüfung der Umsetzung der Maßnahmen sowie deren Dokumentation.

Kontrolle durch die Arbeitsschutzbehörde

Die Arbeitsschutzbehörde kann nicht nur im Falle einer konkreten Gefährdung für Mitarbeiter eingreifen, sondern hat umfassenden Kontrollrechte hinsichtlich der Einhaltung arbeitsschutzrechtliche Vorschriften.

Die Arbeitsschutzbehörde prüft insbesondere, ob der Arbeitgeber die nach § 5 Abs. 1 ArbSchG verpflichtende Gefährdungsbeurteilung durchgeführt hat. Die Pflicht zur Durchführung findet sich nicht nur im ArbSchG, sondern auch in zahlreichen Verordnungen, z.B. der Biostoffverordnung (BioStoffV), der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) sowie der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV). Erstaunlich oft wird diese Rechtspflicht nicht ernstgenommen, aber: Die Non-Compliance etwa mit der BetrSichV führt zu chronischen Rechtsverletzungen. So darf der Arbeitgeber nach der BetrSichV technik-rechtlich unzulässige Arbeitsmittel – vom Hammer bis zur Fertigungsstraße – gar nicht einsetzen; und eine vorhandene CE-Kennzeichnung entbindet den Arbeitgeber selbstredend nicht von dieser Pflicht zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung.

Konsequenzen für Unternehmen

Werden Mängel durch die Arbeitsschutzbehörde festgestellt und vom Unternehmen nicht innerhalb der gesetzten Frist abgestellt, kann dies mit einem Bußgeld von EUR 30.000 geahndet werden. Noch weitreichender ist u.a. die BetrSichV, wonach ein Bußgeld bereits dann zu zahlen ist, wenn z.B. eine Gefährdungsbeurteilung nicht durchgeführt wurde; unabhängig davon, ob die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung zuvor durch die Arbeitsschutzbehörde angeordnet wurde. Bei besonders schwerwiegenden Verstößen besteht darüber hinaus eine Strafbarkeit der verantwortlichen Person des Arbeitgebers.

Viel gravierender stellt sich die arbeitsschutzrechtliche Non-Compliance indes bei Arbeitsunfällen mit schwerem oder gar tödlichem Ausgang dar: sowohl die ermittelnden Staatsanwaltschaften (die sich von den Arbeitsschutzbehörden fachlich unterstützen lassen) als auch die Berufsgenossenschaften als Unfall- und Rentenversicherungsträger ermitteln die genauen Unfallursachen. Betriebsinterne Prozesse wie korrekte arbeitsschutzrechtliche Unterweisungen oder eben eine vorhandene, sachlich korrekte Gefährdungsbeurteilung sind dabei regelmäßig die ersten Dokumente, die erfahrungsgemäß vorgelegt werden müssen. Da etwaige Regressansprüche der verunfallten Person gesetzlich auf die Berufsgenossenschaften übergehen, stehen deshalb auch Schadensersatzklagen der Berufsgenossenschaft-Regress-Abteilungen im Raum.

Was können Unternehmen tun?

Um die haftungsrechtlichen Risiken zu minimieren, sollten Unternehmen ein Arbeitsschutz-Audit durchführen, um zu bewerten, ob sämtliche arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften eingehalten werden. Hierbei sind insbesondere folgende Compliance-Aspekte zu berücksichtigen:

    • Wurde eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt und dokumentiert? Falls ja, wurde diese fortgeschrieben?

    • Wurden sämtliche Maßnahmen getroffen, um eine mögliche Gefährdung der Mitarbeiter zu vermeiden oder zumindest des Risiko für die Mitarbeiter zu minimieren?

    • Wurden die Mitarbeiter über Sicherheit und Gesundheitsschutz angemessen unterwiesen?

    • Wurden die vorgenannten Vorgänge ordnungsgemäß dokumentiert?

    • Sind Leiharbeitnehmer nach Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) in all diese arbeitsschutzrechtlichen Prozesse hinreichend eingebunden?

Fazit

Arbeitsschutz-Compliance wird nicht nur aufgrund der steigenden Kontrollintensität in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen. Durch eine Flexibilisierung der Arbeitswelt in vielen Bereichen (z.B. mobiles Arbeiten) sowie dem Einsatz grundlegend neuer Technologien (z.B. künstliche Intelligenz) werden sich auch Fragen des Arbeitsschutzes neu stellen. 

Arbeitsrecht
Compliance & Interne Untersuchungen

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