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BGH: (Gerichtliche) Vertretungs­befugnis des Aufsichts­rates bei Beauftragung eines Sach­verständigen nach § 111 Abs. 2 S. 2 AktG

11.05.2018

Der BGH hat sich in seiner Entscheidung vom 20.03.2018 (Az. II ZR 359/16) mit der Frage befasst, wer die Aktiengesellschaft gerichtlich vertritt, wenn es um Streitigkeiten bezüglich solcher Hilfsgeschäfte geht, die der Aufsichtsrat zur Wahrnehmung seiner Aufgaben nach § 111 Abs. 2 S. 2 AktG durchführt.

Leitsatz

Hat der Aufsichtsrat in Ausübung seiner Einsichts- und Prüfungsrechte gemäß § 111 Abs. 2 S. 2 AktG einen besonderen Sachverständigen im Namen der Gesellschaft beauftragt, hat er auch die Befugnis zur gerichtlichen Vertretung der Gesellschaft gegenüber dem Sachverständigen in einem Erkenntnisverfahren, das im Hinblick auf eine Streitigkeit aus dem Auftragsverhältnis geführt wird.

Wesentlicher Sachverhalt

  • Die Klägerin ist eine Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft, die von der Beklagten, einer Aktiengesellschaft, Zahlung eines Honorars aus einem Sonderprüfungsauftrag begehrt.
  • Die Beklagte, vertreten durch den Aufsichtsrat, beauftragte die Klägerin mit der Durchführung einer Sonderprüfung. Für diese stellte die Klägerin der Beklagten EUR 91.224,21 in Rechnung, von der die Beklagte nur EUR 10.000 zahlte.
  • Nach erfolgloser Durchführung eines Mahnverfahrens beantragte die Klägerin im Hauptsacheverfahren, einen Vollstreckungsbescheid über EUR  81.224,21 zu erlassen und hilfsweise, die Beklagte zur Zahlung zu verurteilen. Die Beklagte wurde im Klageverfahren von ihrem Aufsichtsrat vertreten. Das Landgericht Oldenburg wies den Hauptantrag in erster Instanz ab und verurteilte die Beklagte aus dem Hilfsantrag.
  • Gegen das Urteil legten beide Parteien Berufung ein. Die Beklagte war der Ansicht, dass die Klage unzulässig sei, da sie nicht ordnungsgemäß vertreten sei. Zur gerichtlichen Vertretung der Aktiengesellschaft sei ausschließlich der Vorstand und nicht der Aufsichtsrat befugt. Der Vorstand der Beklagten weigerte sich im Berufungsverfahren, die Prozessführung durch den Aufsichtsrat und dessen Prozessbevollmächtigten zu genehmigen oder in den Prozess einzutreten.
  • Das Berufungsgericht, das OLG Oldenburg, folgte der Argumentation der Beklagten nicht und hielt den Hilfsantrag für zulässig und begründet. Es wies die Berufungen beider Parteien zurück. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht auf die Zulässigkeit des Hilfsantrages beschränkt zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie weiter die Klageabweisung verfolgt. Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Wesentliche Entscheidungsgründe des BGH

Nach Ansicht des BGH ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Klage bezogen auf den Hilfsantrag zulässig ist. Die Beklagte war im Klageverfahren durch den Aufsichtsrat ordnungsgemäß vertreten.

Grundsatz: Vertretung der AG obliegt dem Vorstand gem. § 78 Abs. 1 AktG

Die Vertretung der Aktiengesellschaft im Zivilprozess richtet sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts, § 51 Abs. 1 ZPO. Demzufolge vertritt nach § 78 Abs. 1 AktG grundsätzlich der Vorstand die Aktiengesellschaft . Ein anderes Organ vertritt die Gesellschaft nur dann, wenn das Aktiengesetz ihm die gesetzliche Vertretung zuweist.

Ausnahme: Vertretungskompetenz des Aufsichtsrates aus § 111 Abs. 2 S. 2 AktG

Der BGH leitet in der vorliegenden Entscheidung aus § 111 Abs. 2 S. 2 AktG die Vertretungskompetenz des Aufsichtsrates zur außergerichtlichen und gerichtlichen Vertretung für solche Hilfsgeschäfte ab, die der Aufsichtsrat im Zuge dieser Aufgabenerfüllung durchführt. Der BGH argumentiert wie folgt:

  • Der Wortlaut von § 111 Abs. 2 S. 2 AktG grenzt den Umfang der dem Aufsichtsrat zugewiesenen Kompetenz nicht eindeutig ab und ist damit der Auslegung zugänglich.
  • Zwar folgt aus § 78 Abs. 1 AktG, dass der Aufsichtsrat die Aktiengesellschaft nur vertreten kann, wenn ihm die gesetzliche Vertretung der Aktiengesellschaft übertragen wurde. Bei der Abgrenzung der Kompetenzen ist aber zu berücksichtigen, dass das Aktiengesetz die Vertretungskompetenzen des Aufsichtsrates nur teilweise regelt. Auch § 112 AktG enthält nach seinem Wortlaut keine abschließende Regelung zur Vertretungsmacht des Aufsichtsrates.
  • Die Stellung von § 111 Abs. 2 S. 2 AktG im Gefüge der aktienrechtlichen Organkompetenzen spricht dafür, dass der Aufsichtsrat nicht nur die Geschäftsführungsbefugnis zur Erteilung von Prüfaufträgen an einen Sachverständigen hat, sondern diesbezüglich auch die Gesellschaft beim Vertragsschluss mit dem Sachverständigen vertritt.
  • Denn soweit der Aufsichtsrat in Ausübung seiner Kontroll- und Mitwirkungsbefugnisse aus § 111 Abs. 2 S. 2 AktG handelt, wird die Geschäftsführungsbefugnis des Vorstandes nicht berührt. Aus diesem Grund hält es der BGH für gerechtfertigt, dem Aufsichtsrat korrespondierend zu dieser Geschäftsführungsbefugnis die Vertretung der Aktiengesellschaft zuzuweisen.
  • Dabei richtet sich der konkrete Umfang der Vertretungszuständigkeit für diese Hilfsgeschäfte nach dem Inhalt der jeweiligen Aufgabenzuweisung. In keinem Fall darf es in diesem Zusammenhang zu einer Erweiterung des sachlichen Aufgabenbereiches des Aufsichtsrates kommen. § 111 Abs. 2 S. 1 und 2 AktG geben dem Aufsichtsrat Instrumentarien an die Hand, um seiner Überwachungsaufgabe aus § 111 Abs. 1 AktG gerecht zu werden. Sie bezwecken die eigenverantwortliche Aufklärung von Sachverhalten durch den Aufsichtsrat, der so vorstandsunabhängige Informationen erhält.
  • Ausgehend von diesem Telos steckt der BGH die Reichweite der Vertretungskompetenz des Aufsichtsrates wie folgt ab: Der Aufsichtsrat hat nicht nur die Vertretungskompetenz, einen Sachverständigen mit einem Prüfungsauftrag zu beauftragen, sondern er hat auch dessen Tätigkeit zu leiten und zu überwachen. Hieran anknüpfend entspricht es einer sachnahen Aufgabenzuweisung, wenn der Aufsichtsrat auch die Prozessvertretung der Aktiengesellschaft in einem Erkenntnisverfahren gegen den beauftragten Sachverständigen übernimmt. Dies gilt zumindest dann, wenn der Aufsichtsrat selbstständig und nicht auf Bitten des Vorstandes dem Sachverständigen den Prüfungsauftrag erteilt hat. Denn in diesem Fall verfügt der Aufsichtsrat zum einen über die für die gerichtliche Auseinandersetzung erforderlichen Informationen. Zum anderen würde die Prozessvertretung durch den Vorstand die abstrakte Gefahr begründen, die Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Aufsichtsrates bei seiner Überwachungsaufgabe zu beeinträchtigen. So könnte der Aufsichtsrat beispielsweise gezwungen sein, dem Vorstand für die sachgerechte Führung des Rechtsstreites Informationen zu offenbaren, hinsichtlich derer er ein Geheimhaltungsinteresse hat.

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