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OLG München: Grund­satz­urteil zu Sport­schieds­gerichts­barkeit

26.01.2015

Das Oberlandesgericht München (OLG) hat mit einem Zwischenurteil vom 15.01.2015 (Az. U 1110/14 Kart) entschieden, dass die zwischen der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein und dem Internationalen Fachverband für Eisschnelllauf (ISU) geschlossene Schiedsvereinbarung wegen Verstoßes gegen zwingendes Kartellrecht unwirksam ist. Aus diesem Grund hat das OLG einen bereits ergangenen Schiedsspruch des Court of Arbitration for Sport (CAS) nicht anerkannt. Das Urteil könnte grundsätzliche Auswirkungen an die Anforderungen der Sportschiedsgerichtsbarkeit haben. Die ausführlichen Urteilsgründe liegen noch nicht vor, bislang gibt es nur eine Pressemitteilung des Gerichts.
 

OLG bestätigt Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung mit Verband

Hintergrund des zivilgerichtlichen Verfahrens ist eine sportrechtliche Sperre der Eisschnellläuferin Pechstein wegen angeblichen Dopings. Der CAS hatte diese Sperre als Ergebnis eines Schiedsverfahrens im Jahr 2009 verhängt, da die Sportlerin im Rahmen der Eisschnelllauf-Mehrkampfweltmeisterschaften in Hamar auffällige Blutwerte aufwies. Im Nachgang stellten Ärzte bei Claudia Pechstein eine seltene Blutanomalie fest, welche möglicherweise die Blutwerte erklären kann. Die Eisschnellläuferin wendete sich daraufhin mit ihrer Klage vor den staatlichen Zivilgerichten gegen die Rechtmäßigkeit der Dopingsperre und machte gegen den deutschen Fachverband für Eisschnelllauf DESG sowie gegen die ISU Schadensersatz und Schmerzensgeld geltend.

Das Landgericht München I hatte in erster Instanz mit Urteil vom 26.02.2014 (Az. 37 O 28331/12) entschieden, dass die Schiedsvereinbarung zwischen dem Verband und Claudia Pechstein der Klage vor den ordentlichen Gerichten nicht entgegenstehe. Die Vereinbarung sei nämlich mangels freier Willensbildung sittenwidrig und unwirksam, da Pechstein die Vereinbarung zwingend habe abschließen müssen, um an internationalen Wettkämpfen überhaupt teilnehmen zu können. Nach Ansicht des Landgerichts habe ein „strukturelles Ungleichgewicht“ zwischen der Sportlerin auf der einen und den Verbänden aufgrund ihrer „Monopolstellung“ auf der anderen Seite bestanden. Das Landgericht sah sich jedoch in materieller Hinsicht an den Schiedsspruch des CAS und die damit ergangene Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Dopingsperre gebunden und wies daher, mangels eigener Überprüfung der Dopingsperre, die Klage als unbegründet ab.

Auch das auf die Berufung von Claudia Pechstein nun mit dem Fall befasste OLG München hat die Schiedsvereinbarung für unwirksam und die Klage der Athletin für zulässig erachtet. Der Kartellsenat hat dies der Pressemitteilung zufolge aber damit begründet, dass die Verbände ihre marktbeherrschende Stellung missbraucht hätten. Auch befand das OLG weitergehend als die Vorinstanz, dass wegen dieses Kartellrechtsverstoßes auch der Schiedsspruch des CAS nicht anerkennungsfähig sei. Die Frage, ob aber auch tatsächlich Schaden- und Schmerzensgeldansprüche bestehen, muss in einem Endurteil entschieden werden. 

Marktbeherrschende Stellung

Das OLG unterstreicht die Feststellung der Vorinstanz, dass die Eisschnelllaufverbände wegen des sogenannten „Ein-Platz-Prinzips“ (also des Umstands, dass es nur einen internationalen und nur einen deutschen Eisschnelllaufverband gibt, die Wettkämpfe für die Sportart des Eisschnelllaufs auf internationaler beziehungsweise nationaler Ebene anbieten) über eine marktbeherrschende Stellung verfügten. So sei auf internationaler Ebene die ISU auf dem „Markt des Angebots der Durchführung von Weltmeisterschaften im Eisschnelllauf“ beherrschend, da nationale Wettkämpfe keine gleichwertige Alternative für die Sportler darstellten und deshalb nicht in den Markt einzubeziehen seien.

Missbrauch durch strukturelles Ungleichgewicht bei CAS-Schiedsrichterbe­nennung

Das OLG stellte klar, dass Sportverbände bei der Zulassung eines Sportlers zu Wettkämpfen grundsätzlich auch den Abschluss von Schiedsvereinbarungen verlangen könnten, sofern die Sportler an nationalen bzw. internationalen Eisschnelllaufwettkämpfen teilnehmen wollten. Eine solche Forderung sei nicht stets missbräuchlich, denn es gebe gewichtige sachgerechte Gründe, etwaige Streitigkeiten zwischen Athleten und Verbänden im Zusammenhang mit internationalen Wettkämpfen einem Schiedsgericht zuzuweisen. So könne eine einheitliche Zuständigkeit eines Sportschiedsgerichts und eine einheitliche Verfahrensführung das Risiko divergierender Entscheidungen ausschließen, welches bei der Zuständigkeit staatlicher Gerichte gegeben sei. Dies komme letztlich der Chancengleichheit der Athleten bei Wettkämpfen zugute.

Im vorliegenden Fall sei das Verlangen der ISU zur Unterzeichnung der Schiedsvereinbarung allerdings missbräuchlich, weil diese zwingend die Zuständigkeit des CAS vorsehe, dabei die Schiedsrichterbestellung im CAS-Verfahren aber einseitig zugunsten der Verbände ausgestaltet sei. Hintergrund ist die Verfahrensordnung des internationalen Sportschiedsgerichtshof, nach der bei dem CAS nur Personen als Schiedsrichter tätig werden können, die auf der CAS-Schiedsrichterliste verzeichnet sind. Auf die Nominierung der Schiedsrichter für diese Liste wiederum hätten die Verbände unmittelbar und mittelbar Einfluss. Solche Einflussmöglichkeiten bestünden auch auf die (Ersatz-)Benennung des Vorsitzenden des Schiedsgerichts durch den CAS. Den Verbänden komme nach Auffassung des OLG München somit ein „strukturelles Übergewicht“ zu, welches die „Neutralität des CAS grundlegend in Frage“ stelle. Da die Verbände insoweit die Besetzung des Schiedsgerichts zu ihren Gunsten manipulieren könnten, dürften sie die Teilnahme der Sportler an Wettkämpfen nicht von der Unterzeichnung von Schiedsvereinbarungen abhängig machen. Andernfalls wäre ihr Verhalten missbräuchlich. 

Keine materiell-rechtliche Bindung an den Schiedsspruch

Anders als die Vorinstanz sah sich das OLG aber materiell-rechtlich nicht an den Schiedsspruch des CAS zur Rechtmäßigkeit der Dopingsperre gebunden. Aufgrund der Kartellrechtswidrigkeit der Schiedsvereinbarung verstoße der Schiedsspruch vielmehr gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) und das OLG könne ihm die Anerkennung in Deutschland versagen, wie nach internationalem und nationalem Recht vorgesehen (Art. V Abs. 2 lit. b) des New Yorker Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche von 1958 in Verbindung mit § 1061 Abs. 1 Satz 1 ZPO). 

Analyse

Die Entscheidung des OLG München fügt sich in das bekannte Spannungsfeld von Sportverbandsautonomie und Kartellrecht ein, hat aber zu einem erheblichen Medienecho geführt, weil der Kartellsenat Zweifel an der Neutralität des damaligen CAS-Verfahrens zur Schiedsrichternominierung geäußert hat.

Bereits in der Vergangenheit hat es zahlreiche – zumeist erfolglose – Versuche gegeben, u.a. mit kartellrechtlichen Argumenten gegen Entscheidungen von Verbandsgerichten vorzugehen oder die Unabhängigkeit und Zuständigkeit des CAS in Frage zu stellen. So scheiterte bspw. der Schweizer Fußballverein FC Sion vor ein paar Jahren damit, gegen die ihm auferlegten Sanktionen vor ordentlichen Gerichten Gehör zu finden. Im Fall des verordneten Zwangsabstiegs des italienischen Fußballclubs Juventus Turin wiederum drang eine Fangemeinde mit ihrem Anliegen nicht durch, die Europäische Kommission wegen angeblicher Kartellrechtswidrigkeit der Disziplinarmaßnahme zum Handeln zu zwingen.

Das Urteil des OLG ist aber insofern von anderer Qualität, als es nicht eine einzelne Disziplinarmaßnahme oder sonstige Entscheidung eines Verbandsgerichts in Frage stellt, sondern ganz grundsätzlich die Rechtmäßigkeit des CAS-Verfahrens (zum Zeitpunkt des Pechstein-Falles) bezweifelt und damit Sportlern auferlegten Schiedsvereinbarungen die Anerkennungsfähigkeit abspricht, wenn das Schiedsverfahren die notwendige Neutralität nicht hinreichend gewährleiste.

Zutreffend ist der Ausgangspunkt des OLG, dass eine Überprüfung der Verbandsstatuten nach Maßgabe kartellrechtlicher Vorschriften grundsätzlich möglich ist, da diese konkrete Auswirkungen auf die am wirtschaftlichen Leben teilnehmenden Sportler haben. Der Europäische Gerichtshof hat bereits in der Vergangenheit festgestellt, dass sich sportliche Statuten und Sanktionsmechanismen nicht allein mit Verweis auf einen „sportlichen Ausnahmebereich“ kartellrechtlichen Maßstäben entziehen lassen (siehe bspw. Urt. v. 18.07.2006, Rs C-519/04 P – Meca-Medina und Majcen).

Wenn man mit dem OLG von einer marktbeherrschenden Stellung der ISU ausgeht, bleibt vorliegend allerdings diskussionswürdig, ob sich aus den geäußerten Bedenken zur Besetzung des CAS tatsächlich immer ein – zur Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung führender – Marktmissbrauch ableiten lässt. Bei dieser Wertung ist sicherlich auch zu berücksichtigen, dass der internationale Sportschiedsgerichtshof als Institution letztlich Ausfluss der im Sportrecht anerkannten und verfassungsrechtlich ebenfalls verbürgten Verbandsautonomie ist. Man wird die ausführlichen Urteilsgründe abwarten müssen, um abschließend beurteilen zu können, in welchem Umfang das OLG dies berücksichtigt hat. Richtig ist, in jedem Fall zu fordern, dass bei einer solchen Schiedsgerichtsbarkeit auch tatsächlich die Neutralität des Verfahrens sichergestellt werden muss und diese nicht einseitig zugunsten der Verbände ausfallen darf.

Aufgrund der über den Einzelfall hinausgehenden Auswirkungen der Entscheidung auf die Zulässigkeit von Schiedsabreden im internationalen Sport hat das OLG die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. Die ISU hat bereits angekündigt, den Instanzenzug weiter zu beschreiten. Es bleibt abzuwarten, wie der Bundesgerichtshof die aufgeworfenen Fragen zur Wirksamkeit von Verbands-Schiedsvereinbarungen sowie zur Anerkennungsfähigkeit von Schiedssprüchen des CAS entscheiden wird.

Es ist nicht zu erwarten, dass die Entscheidung des OLG München zu einer generellen Abschaffung von Schiedsverfahren im Sport führen könnte. So ist die Entscheidung und Intention des OLG auch nicht zu verstehen. Im Übrigen hat sich zwischenzeitlich das bisherige System auch zugunsten der Athleten verbessert: So hat der CAS bei der Überarbeitung seiner Verfahrensordnung im Jahr 2012 das zu Zeiten der Pechstein-Entscheidung (2009) bestehende System der Schiedsrichternominierung umgestaltet, welches Sportverbänden eine feste, überproportionale Vorschlagsquote zuerkannte. Die heutigen Statuten sind neutraler formuliert, was die Schiedsrichterliste noch mehr als früher für qualifizierte, verbandsfremde Schiedsrichter öffnet. Zukünftig könnte der CAS darüber hinaus dem Vorwurf einer zugunsten der Verbände ungleichgewichtigen Schiedsrichterbenennung dadurch entgegentreten, dass er das Spruchgremium (Division) zur Benennung des Vorsitzenden unabhängig besetzt, wie dies beispielsweise bei der DIS-Sportschiedsgerichtsordnung der Fall ist.

Bedeutung dürfte die Entscheidung des OLG nicht nur im Hinblick auf die Sportschiedsgerichtsbarkeit selbst haben, sondern auch hinsichtlich anderer Verfahren, in denen zwischen den Parteien ein Ober-/Unterordnungsverhältnis bei Abschluss der Schiedsvereinbarung besteht, so dass der Fortgang des Verfahrens mit Spannung erwartet werden darf.

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