Qualifizierung und Weiterbildung als Rahmenbedingung und Grundvoraussetzung der Arbeitswelt 4.0 - Teil 7
Mitbestimmung bei Qualifizierung und Weiterbildung
Die für die Vorbereitung auf die Arbeitswelt 4.0 zentrale Frage ist, inwieweit Menschen, deren Tätigkeiten wegfallen, neue Tätigkeiten ausfüllen können. Sie wird von den Tarif- und Betriebsparteien auch zunehmend erkannt. Kernfrage in einer Tarifrunde 2015 war z.B.: Wer bestimmt, wer welche Weiterbildung machen darf? Mit der Beantwortung dieser Frage werden die Weichen dafür gestellt, wer bei Arbeiten 4.0 zu den Gewinnern zählen wird und wer nicht. Betriebsräte wollen hier - soweit möglich - natürlich mitreden. Inwieweit sie vom Arbeitgeber bei diesen Fragen zu beteiligen sind, wird in diesem Teil unserer Serie zusammenfassend vorgestellt.
Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) sieht zum Thema Fortbildung außerhalb kündigungsrechtlicher Gesichtspunkte Beteiligungsrechte zu folgenden Themenbereichen vor:
- Ermittlung des Weiterbildungsbedarfs
- Konkreter (digitaler) Qualifizierungsbedarf
- Durchführung der (digitalen) Weiterbildungsmaßnahme
Arbeitgeber und Betriebsrat sind verpflichtet, die Berufsbildung der Arbeitnehmer im Zusammenwirken mit den für die Berufsbildung zuständigen Stellen (Handwerkskammer, IHK, Kammern der freien Berufe) zu fördern (§ 96 Abs. 1 S. 1 BetrVG).
Ermittlung des Qualifizierungsbedarfs auf Verlangen des Betriebsrats
Nach § 96 Abs. 1 S. 2 BetrVG hat der Arbeitgeber auf Verlangen des Betriebsrats den Berufsbildungsbedarf zu ermitteln, um mit ihm Fragen der Berufsbildung der Arbeitnehmer des Betriebs zu beraten. Zur „Berufsbildung“ gehören dabei alle Maßnahmen, die Arbeitnehmern in systematischer, Lehrplan derartiger Weise Kenntnisse und Erfahrungen vermitteln, die diese für ihre berufliche Tätigkeit benötigen.
- Der Arbeitgeber hat dann zunächst zu ermitteln, welche Qualifikationen die von den Änderungen betroffenen Arbeitnehmer bereits besitzen (Ist-Analyse).
- Im Anschluss hat er festzustellen, welches Anforderungsprofil sich aus seiner Sicht zukünftig für die Arbeitnehmer ergeben könnte (Soll-Analyse). Investitionsvorhaben braucht er insoweit nicht darzulegen. Auch bei der Festlegung der künftigen Anforderungsprofile besteht nach überwiegender Auffassung kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.
- Im Anschluss erfolgt ein Vergleich zwischen Ist- und Soll-Zustand, um den nach Auffassung des Arbeitgebers notwendigen (digitalen) Qualifikationsbedarf zu ermitteln. Der Betriebsrat kann dem Arbeitgeber dabei einen bestimmten, aus seiner Sicht bestehenden Qualifikationsbedarf nicht bindend vorgeben oder beanspruchen, ihn mit dem Arbeitgeber gemeinsam festzulegen. Ebenso ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, bei einem (digitalen) Qualifikationsdefizit die entsprechenden Weiterbildungsmaßnahmen auch durchzuführen (vergleiche dazu Teil 2 dieser Serie).
Erörterungs- und Vorschlagsrecht des Betriebsrats
Nach Durchführung dieser Analyse hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat den von ihm ermittelten Weiterbildungsbedarf vielmehr „nur“ mitzuteilen und mit dem Betriebsrat hierüber zu beraten - allerdings nur, sofern der Betriebsrat dies verlangt. Eine mündliche Information und eine mündliche Beratung sind dabei ausreichend; der Betriebsrat kann keine Vorlage von Listen verlangen. Nach § 96 Abs. 1 S. 3 BetrVG kann er allerdings eigene Vorstellungen darlegen und Vorschläge machen. Der Arbeitgeber ist dann aber nicht verpflichtet, seine eigenen Vorstellungen mit denjenigen des Betriebsrat in Einklang zu bringen.
Mitbestimmung bei konkretem (digitalem) Qualifizierungsbedarf
Wie wir in Teil 2 dieser Serie gesehen hatten, besteht nach § 81 Abs. 4 S. 2 BetrVG ein Anspruch des Arbeitnehmers darauf, dass der in Bezug auf ihn bestehende Qualifizierungsbedarf erörtert wird. Zu dieser Erörterung kann der Arbeitnehmer nach § 81 Abs. 4 S. 3 BetrVG ein Mitglied des Betriebsrats hinzuziehen. Darin erschöpft sich insoweit aber das Beteiligungsrecht des Betriebsrats.
Im Rahmen der Arbeitswelt 4.0 viel relevanter ist, dass dem Betriebsrat gemäß § 97 Abs. 2 S. 1 BetrVG bei der Einführung von Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung – und damit bereits beim „Ob“ der Maßnahme – ein Mitbestimmungsrecht zusteht. Ziel dieses Mitbestimmungsrechts ist es, durch Qualifizierungsmaßnahmen präventiv einen Arbeitsplatzverlust infolge eines Qualifikationsdefizits vorzubeugen.
Der Anwendungsbereich von § 97 Abs. 2 BetrVG ist eröffnet, wenn der Arbeitgeber Maßnahmen durchführt oder plant, die zu einem Qualifikationsdefizit der betroffenen Arbeitnehmer führen. Erforderlich ist, dass die Maßnahmen zu derart nachhaltigen inhaltlichen Änderungen der Tätigkeit des Arbeitnehmers führen, dass dessen beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Erfüllung der Aufgaben nicht mehr ausreichen.
In quantitativer Hinsicht ist die Betroffenheit eines Arbeitnehmers ausreichend, während an das Ausmaß der qualitativen Veränderungen eher hohe Anforderungen gestellt werden: Um „Maßnahmen“ in diesem Sinne kann es sich z.B. bei der Einführung neuer Technologien, Maschinen, Programme oder Software handeln. Bei Veränderungen von Arbeitsprozessen im Kontext von Digitalisierung und Arbeit 4.0 wird dieses Mitbestimmungsrecht also häufig eine Rolle spielen. Inhaltlich umfasst die Mitbestimmung:
- Die Frage, welche Weiterbildungsmaßnahmen ergriffen werden. Der Betriebsrat kann hier auch von sich aus die Initiative ergreifen und Weiterbildungsmaßnahmen vom Arbeitgeber fordern (und ggf. im Einigungsstellenverfahren nach § 76 BetrVG durchsetzen). Dies umfasst sowohl die Festlegung von Qualifizierungszielen als auch von Qualifizierungswegen. Denkbar ist z.B., dass Qualifizierungsbausteine entwickelt werden. Dies bietet sich in der Praxis häufig schon deshalb an, weil die Qualifikationsdefizite bei den einzelnen Arbeitnehmern sehr unterschiedlich sind und damit nicht alle Bausteine im selben Umfang enthalten sein müssen.
- Erforderlich ist aber, dass es sich um eine „betriebliche“ Berufsbildungsmaßnahmen handelt. Das führt zu einer Beschränkung auf solche Maßnahmen, die vom Arbeitgeber getragen oder veranstaltet werden. Bedient der Arbeitgeber sich eines Dritten, muss er einen beherrschenden Einfluss auf Inhalt und Durchführung der Veranstaltung haben.
- Externe Bildungsmaßnahmen kann der Betriebsrat im Rahmen von § 97 Abs. 2 BetrVG demnach nicht verlangen.
- Eine weitere Grenze folgt nach zutreffender h.M. daraus, dass die Maßnahme dem Arbeitgeber zumutbar sein muss. Auch hier wird die Zumutbarkeit anhand einer Abwägung ermittelt, bei der die technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten des Arbeitgebers dem Qualifikationsbedarf des Arbeitnehmers gegenübergestellt werden. Hier gelten die in Teil 6 dieser Serie vorgestellten Grundsätze. Es fehlt aber an einem allgemein anerkannten Maßstab. Ein Teil der Kosten wird man indes typischerweise dem Arbeitnehmer auferlegen können, da es auch seine Aufgabe ist, sich hinsichtlich der ihn zukünftig treffenden beruflichen Anforderungen „up to date“ zu halten.
- Trotz beabsichtigter Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung im Bereich der (digitalen) Weiterbildung, soll laut dem aktuellen Koalitionsvertrag auch in Zukunft kein allgemeiner Anspruch auf Weiterbildung durch Gesetz entstehen, der mitbestimmungsrechtlich erzwingbar ist. Der derzeitige Plan ist, dass man einen, dem Betriebsverfassungsrecht bisher fremden, vermittelnden „Moderator“ einsetzen will, der im Streitfall eine Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erzielen soll.
Mitbestimmung bei der konkreten Ausgestaltung der Qualifizierungsmaßnahme
Die Mitbestimmung bei der konkreten Ausgestaltung der Qualifizierungsmaßnahme – also beim „Wie“ der digitalen Fortbildung – ist in § 98 BetrVG geregelt. Gegenstand der Mitbestimmung ist hier
- der organisatorische Rahmen der digitalen Weiterbildungsmaßnahme,
- deren Dauer und zeitliche Lage,
- der Inhalt und Umfang der zu vermittelnden Kenntnisse und Fähigkeiten sowie
- die Methode der Vermittlung von Kenntnissen.
Mitbestimmt ist damit insbesondere die Frage, ob die Weiterbildung (ganz oder teilweise) während der regulären Arbeitszeit stattfindet. Mitbestimmungsfrei ist nach § 98 Abs. 1 BetrVG hingegen die Höhe der bereitgestellten Mittel. Ebenfalls mitbestimmungsfrei ist die Teilnehmerzahl.
Den Teilnehmerkreis wiederum hat der Betriebsrat nach § 98 Abs. 3 BetrVG mitzubestimmen: Er hat bei der Auswahl der Arbeitnehmer, die an der Bildungsmaßnahme teilnehmen sollen, ein Mitspracherecht. Dies gilt auch dann, wenn es sich um eine außerbetriebliche Maßnahmen der Berufsbildung handelt und der Arbeitgeber hierfür Mitarbeiter freistellt oder er die durch die Teilnahme von Mitarbeitern an solchen Maßnahmen entstehenden Kosten ganz oder teilweise trägt. Voraussetzung für das auf die teilnehmerauswahlbezogene Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ist jedoch, dass er zuvor eigene Vorschläge gemacht hat. Darüber hinaus kann der Betriebsrat nur diejenigen Arbeitnehmer als mögliche Teilnehmer vorschlagen, bei denen ein Qualifikationsdefizit besteht und die ein digitales Weiterbildungsinteresse bekundet haben. Kommt keine Einigung zustande, entscheidet die Einigungsstelle (§ 98 Abs. 4 BetrVG).
Fazit
Wer bestimmt, wer welche Weiterbildung machen darf? Betriebsräte wollen hier - soweit möglich - natürlich mitreden. Initiativrechte bestehen zu folgenden Themen:
- Ermittlung des Weiterbildungsbedarfs
- Konkreter (digitaler) Qualifizierungsbedarf
- Durchführung der (digitalen) Weiterbildungsmaßnahme
Allerdings bleibt die Beantwortung der Frage, wie viel in Weiterbildungsmaßnahmen investiert werden soll, dem Arbeitgeber vorbehalten. Der Betriebsrat kann kein „Bildungsbudget“ erzwingen. Dass der Arbeitgeber Bildungsmaßnahmen in gewissem Umfang finanzieren muss, folgt lediglich aus seinen kündigungsrechtlichen Obliegenheiten (vgl. dazu Teil 5 dieser Serie). Das Qualifizierungschancengesetz, dessen Eckpunkt wir bereits vorgestellt hatten, sieht in einem neuen § 82 SGB III allerdings eine Ausdehnung der Weiterbildungsförderung durch die Bundesagentur für Arbeit vor, um Arbeitnehmer schon während ihrer Tätigkeit auf den digitalen Strukturwandel vorzubereiten und Arbeitslosigkeit so bereits im Vorfeld zu verhindern. Gerade in Zeiten knapper Budgets (vgl. Teil 6 dieser Serie) kann dies ein erster Schritt sein, um im Wettbewerb nicht durch Unternehmen mit besser qualifizierten Mitarbeitern abgehängt zu werden.
Bestens
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