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Qualifizierung und Weiter­bildung als Rahmen­bedingung und Grund­voraussetzung der Arbeitswelt 4.0 - Teil 8

07.05.2019

Wenn es ganz ernst wird: Betriebsänderung und „Qualifizierungssozialplan“

Digitalisierung und der Industrie 4.0 machen nicht nur eine Veränderung etablierter Geschäftsmodelle (Business Transformation) erforderlich, sondern gleichzeitig die Anpassung der Qualifikationen der Mitarbeiter. Entfernt sich das neue Anforderungsprofil dabei zu weit von der ursprünglichen Tätigkeitsbeschreibung bzw. bringt der Arbeitnehmer nicht die erforderliche Qualifikation für das veränderte Aufgabenspektrum mit, obliegt es - wie in Teil 5 dieser Serie erläutert - im Ergebnis zunächst dem Arbeitgeber, seinem Arbeitnehmer Vorschläge dazu zu machen, wie er „fit“ für die neuen Aufgaben wird. Sind sich die Parteien (vorbehaltlich der Mitbestimmungsrechte nach §§ 96 ff. BetrVG) über die erforderliche Qualifizierungsmaßnahme, ihre Durchführung und Kosten einig, ergeben sich zumeist keine Probleme. Ist sie dagegen nicht möglich – etwa weil der Mitarbeiter zur Durchführung nicht bereit ist – oder reicht eine Bildungsmaßnahme nicht aus bzw. schlägt fehl, bleibt für den Arbeitgeber letztlich nur die Anpassung des Arbeitsvertrags durch Änderungskündigung oder – als letztes Mittel – Beendigungskündigung.

Die Arbeitswelt 4.0 als Auslöser von Betriebsänderungen

Fallen die Veränderungen der Arbeitsanforderungen und der dadurch bedingte Abbau von Arbeitsplätzen in den von der Rechtsprechung entwickelten Umfangsvorgaben zusammen, liegt meist schon eine Betriebsänderung wegen Personalanpassung nach § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG vor. Die Umstellung von Arbeitsprozessen in der Arbeitswelt 4.0 kann aber auch unabhängig von einem Personalabbau eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation und von Betriebsanlagen i.S.d. § 111 S. 3 Nr. 4 BetrVG sein. Damit ist oft auch die Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren i.S.d. § 111 S. 3 Nr. 5 BetrVG verbunden. Konsequenz ist die Verpflichtung, einen Interessenausgleich zu versuchen und einen Sozialplan abzuschließen. Klassisch handelt es sich um einen Abfindungssozialplan, der für die hier diskutierte Situation aber nicht unter allen Umständen passt: Die Stammbelegschaft ganz oder teilweise zu erhalten und durch Qualifizierungsmaßnahmen an die neuen (digitalisierten) Arbeitsprozesse/Produktionsbedingungen bzw. technologischen Veränderungen heranzuführen, kann – verglichen mit einem weitreichenden Personalabbau – auch im Unternehmensinteresse liegen. Erforderlich ist eine Kosten-Nutzen-Analyse: Den Qualifizierungskosten stehen eingesparte Sozialplan- und Abfindungskosten gegenüber. Der Aufbau einer qualifizierten und bereits „eingespielten“ Belegschaft kann gerade in Zeiten des Fachkräftemangels sinnvoller sein als u. U. schwierige und langwierige Neueinstellungen qualifizierten Personals bei gleichzeitiger, oftmals teurer Abfindung der Stammbelegschaft. In welcher Vereinbarung mit dem Betriebsrat muss das abgebildet werden?

Sollten Qualifizierungsmaßnehmen im Sozialplan geregelt werden?

Strategischer Ausgangspunkt ist: Den Interessenausgleich, also die Regelung über das „Ob“ und das „Wie“ der Betriebsänderung, kann der Betriebsrat nicht erzwingen. Den Sozialplan, der den Ausgleich der durch die Betriebsänderung entstehenden Nachteile betroffener Mitarbeiter regelt, – ggf. im Einigungsstellenverfahren – in bestimmten Grenzen schon (§§ 112 f. BetrVG).

„Umschulungspflichten“ können aber nicht Gegenstand eines erzwingbaren Sozialplans sein (BAG, Urteil vom 17.09.1991 - 1 ABR 23/91), sondern nur im Interessenausgleich geregelt werden. Letztlich hat es damit der Arbeitgeber auch im Rahmen von Betriebsänderungen in der Hand, über das „Ob“ von Qualifizierungsmaßnahmen zu entscheiden. Die erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats (abweichend vom Normalfall von Bildungsmaßnahmen, vgl. Teil 7 dieser Serie) ist auf die Finanzierung der Bildungsmaßnahme beschränkt. Zudem begründen die in einem „normalen“ Interessenausgleich geregelten Qualifizierungsmaßnahmen keine Ansprüche der Arbeitnehmer. Ist ein Qualifizierungsanspruch gewollt, muss deshalb ein sog „qualifizierter Interessenausgleich“ abgeschlossen werden, d.h. eine Vereinbarung mit Mischnatur, die hinsichtlich der Qualifizierungsregelungen eine Betriebsvereinbarung ist. Das ist in der Praxis mit „Qualifizierungssozialplan“ gemeint: eine freiwillig anspruchsbegründende Regelung.

Welche Mitbestimmungsrechte bestehen beim „Qualifizierungssozialplan“?

Die Veränderung von Arbeitsplätzen im Rahmen der Arbeitswelt 4.0 wird auch in Betriebsänderungsfällen neben §§ 111 f. BetrVG häufig die Mitbestimmung nach §§ 96 ff. BetrVG auslösen (vgl. zu dazu Teil 7 dieser Serie). So sind Qualifizierungsmaßnahmen in diesen Fällen zumeist vom Mitbestimmungsrecht nach § 97 Abs. 2 BetrVG umfasst, sobald sich der Arbeitgeber zur Durchführung einer den Qualifizierungsbedarf auslösenden Maßnahme entschlossen hat - hier also nahtlos nach dem Abschluss des Interessenausgleichsverfahrens. Im nächsten Schritt wird das „Wie“ und damit die Mitbestimmung nach § 98 BetrVG relevant: Die Dauer der Qualifizierungsmaßnahme unterliegt ebenso der Mitbestimmung wie der Inhalt und Umfang der zu vermittelnden beruflichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten. Mitbestimmungsfrei ist nach § 98 Abs. 1 BetrVG zwar im Normalfall die Höhe der bereitgestellten Mittel (vgl. Teil 7 dieser Serie). Hier schließt sich aber der Kreis zu den Sozialplanverhandlungen: Die Beteiligungsrechte bezüglich des Sozialplans dürften hier die Dotierung von Qualifizierungsmaßnahmen zulassen. Darüber hinaus sind Mitwirkungsrechte nach §§ 92 Abs. 1, Abs. 2, 92 a, 96 und 97 Abs. 1 BetrVG denkbar.

Was regelt ein „Qualifizierungssozialplan“?

Typische Inhalte, die – abhängig von Art und Umfang des technologischen Wandels sowie ggf. zu beachtender Tarifverträge (§ 77 Abs. 3 BetrVG) – erfahrungsgemäß relevant werden, sind:

  • Erhebung des Qualifizierungsbedarfs (Ist-Soll-Analyse)

    • (Kriterien zur) Auswahl des Teilnehmerkreises
    • Bedarfs- und Bildungsanalyse

  • Festlegung von Qualifizierungszielen und -wegen

    • individuelle Entwicklungspläne
    • Zumutbarkeitskriterien für Anforderungsprofile

  • Teilnahmeregelungen für den definierten Teilnehmerkreis

    • zeitliche Lage und (Höchst-)Dauer von Qualifizierungsmaßnahmen (Nutzung flexibler Arbeitszeitsysteme)
    • Teilnahmepflichten und Konsequenzen der Verletzung / bei Nichtbestehen
    • Kündigungsregelungen für den Zeitraum der Qualifizierungsmaßnahme und einen folgenden Interimszeitraum

  • Finanzierung

    • Bereitstellung eines „Qualifizierungsbudgets“
    • Anrechnungsmöglichkeiten bei staatlicher oder sonstiger Förderung
    • Rückzahlungsmodalitäten und -fristen (z.B. bei Eigenkündigung)

Fazit

Die Arbeitswelt 4.0 löst infolge veränderter Arbeitsplatzanforderungen häufig Betriebsänderungen aus. Die Beteiligungsrechte aus §§ 111 ff. und §§ 96 ff. BetrVG ermöglichen den Betriebsparteien, Qualifizierungsmaßnahmen für neu entstehende Arbeitsplätze in sog. „Qualifizierungssozialplänen“ zu vereinbaren, die den Vorteil der Einsparung von Abfindungskosten mit dem Vorteil der Weiterentwicklung qualifizierter Stammkräfte kombinieren.

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