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Rabatte und Boni wieder auf der Agenda der Kartell­behörden

15.04.2024

Boni, Rabatte und sonstige Verkaufsfördermaßnahmen (nachfolgend „Rabatte“) sind gängige Praxis in Vertriebssystemen und als solche grundsätzlich legitime Maßnahmen zur Absatzförderung und Vertriebssteuerung. Gleichzeitig sind bei der Ausgestaltung von Rabatten die kartellrechtlichen Spielregeln stets mitzudenken.

Rabatte haben gemein, dass der Anbieter oder Lieferant dem Abnehmer freiwillig zusätzliche Leistungen anbietet, die an die Erreichung bestimmter Voraussetzungen geknüpft sind. Dabei gibt es absatzbezogene Rabatte wie z. B. Mengenrabatte (einfache Mengenrabatte, Zielrabatte, Steigerungsrabatte, Treue- oder Exklusivrabatte) und nicht absatzbezogene Rabatte, die bestimmte sonstige Leistungen des Abnehmers belohnen (z. B. Leistungs- und Funktionsrabatte, Skonti, Verfügbarkeitsrabatte).

In der Praxis ist die Ausgestaltung von Rabattsystemen sehr vielfältig. Aus kartellrechtlicher Perspektive ist vor allem das Verbot des Missbrauchs von Marktmacht zu beachten (A.). Allerdings setzt auch das Kartellverbot der Ausgestaltung von Verkaufsfördermaßnahmen Grenzen (B.).

A. Missbrauch von Marktmacht durch Rabattausgestaltung

Unternehmen, die eine marktbeherrschende Stellung innehaben, tragen eine besondere Verantwortung dafür, dass sie durch ihr Verhalten den noch bestehenden Restwettbewerb nicht weiter beeinträchtigen. Sie müssen daher auch darauf achten, dass ihre Rabattausgestaltung nicht missbräuchlich ist.

Wer ist Normadressat des Missbrauchstatbestands?

Normadressanten des EU-Missbrauchstatbestand sind marktbeherrschende Unternehmen. Eine marktbeherrschende Stellung ist im Unionsrecht definiert als die wirtschaftliche Machtstellung eines Unternehmens, die dieses in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und letztendlich den Verbrauchern gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten.

Normadressaten des deutschen Missbrauchstatbestands sind nicht nur marktbeherrschende Unternehmen, sondern auch Unternehmen mit relativer Marktmacht. Dadurch ist der Anwendungsbereich des deutschen Missbrauchsverbots in Bezug auf den Adressatenkreis weiter als der des europäischen Verbots. Relative Marktmacht liegt nahe, wenn andere Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren in der Weise abhängig von einem Unternehmen sind, dass ausreichende und zumutbare Möglichkeiten, auf dritte Unternehmen auszuweichen, nicht bestehen.

Starre Grenzen gibt es weder für die marktbeherrschende Stellung noch für die relative Marktmacht. Erforderlich ist eine Betrachtung des Einzelfalls. Die Schwellenwerte in folgender Übersicht können jedoch als Orientierung dienen:

Rabatte und Boni wieder auf der Agenda der Kartellbehörden_Graphik1

Wann kann die Ausgestaltung von Rabatten missbräuchlich sein?

Grundsätzlich ist zwischen Behinderungs- und Ausbeutungsmissbrauch zu differenzieren. Ein Behinderungsmissbrauch liegt vor, wenn ein Unternehmen versucht, seine Konkurrenten zu behindern, um den Wettbewerb einzuschränken. Ein Ausbeutungsmissbrauch ist anzunehmen, wenn ein Unternehmen seine Marktmacht nutzt, um von Kunden Gewinne zu erzielen, die ohne die Marktmacht nicht zu erzielen wären. In Bezug auf Rabatte können beide Kategorien von Bedeutung sein. In der Praxis ist jedoch die missbräuchliche Behinderung von Wettbewerbern relevanter, insbesondere durch Verdrängung. Darüber hinaus dürfen Rabatte die Kunden nicht in missbräuchlicher Weise diskriminieren.

Missbräuchliche Verdrängung von Wettbewerbern

Rabatte können Wettbewerber des Lieferanten insbesondere dadurch unbillig behindern, dass sie wie eine faktische Ausschließlichkeitsbindung des Abnehmers an den Lieferanten wirken. Dies ist der Fall, wenn der Rabatt des Lieferanten eine Sogwirkung auf den Abnehmer entfaltet, die geeignet ist, die Wettbewerber des Lieferanten (als Alternative Bezugsquelle für den Abnehmer) zu verdrängen.

Angesichts der Vielzahl verschiedener Ausgestaltungsmöglichkeiten kann folgendes „Ampelsystem“ als grobe Orientierung dienen, ob ein geplanter Rabatt möglicherweise eine kritische Sogwirkung entfalten könnte:

Rabatte und Boni wieder auf der Agenda der Kartellbehörden_Graphik2

Entscheidend ist jedoch eine Prüfung des konkreten Einzelfalls. Dies gilt insbesondere für den roten Bereich. Hier kann es sich anbieten, mit einem „ebenso effizienten Wettbewerber“-Test („As-Efficient-Competitor“-Test – AEC-Test) zu arbeiten. Die Frage ist, ob die Rabattausgestaltung des marktbeherrschenden Lieferanten andere, einen hypothetischen, ebenso effizienter Wettbewerber vom Markt ausschließen würde. Dies überprüft die Europäische Kommission anhand von Wirtschaftsdaten zu den Kosten und Verkaufspreisen und insbesondere, ob das marktbeherrschende Unternehmen nicht kostendeckende Preise praktiziert.

Kartellrechtswidrige Diskriminierung von Kunden

Rabatte dürfen die Abnehmer nicht diskriminieren. Dabei ist jedoch nicht jede Ungleichbehandlung unzulässig – sie muss auf Willkür oder dem Leistungswettbewerb fremden Absichten beruhen, das heißt darauf gerichtet sein, den Wettbewerb zu beeinträchtigen. Damit reicht ein bloßer Preisunterschied nicht aus, um eine kartellrechtswidrige Diskriminierung anzunehmen.

Fallgruppen, bei denen eine kartellrechtswidrige Diskriminierung drohen kann, sind u. a.: übermäßige Rabattspreizungen (z. B. progressiver Anstieg von Rabattstufen entlang Umsatz / Abnahmemenge) oder kundenindividuelle Rabatte (Kunde A erhält 2 %, Kunde B erhält 7 %). Ein weiteres Beispiel für eine Diskriminierung sind Treuerabatte deren Höhe sich bei Kunden in gleicher Lage schlicht danach ausrichtet, ob sich die Kunden ihre Bezugsfreiheit vorbehalten oder sich auf einen Alleinbezug einlassen.

Allerdings ist auch hier eine Einzelfallprüfung erforderlich. Beispielsweise mit Blick darauf, ob für die konkrete Ausgestaltung sachliche und angemessene Gründe oder hinreichende Effizienzvorteile (für Verbraucher) vorliegen.

B. Kartellverbot als Grenze der Rabattausgestaltung

Obgleich die Rabattgestaltung typischerweise (nur) vor dem Hintergrund einer etwaigen Missbräuchlichkeit untersucht wird, dürfen Rabatte auch nicht gegen das Kartellverbot verstoßen. Dies ist gesondert zu prüfen. Verkürzt dargestellt, besagt das Kartellverbot: Grundsätzlich sind alle Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen untersagt, die eine Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Etwas anderes gilt, soweit eine Gruppen- oder Einzelfreistellung greift.

Rabatte setzen Anreize zu einem bestimmten Verhalten. Rabattvereinbarungen können daher (mittelbare) Beschränkungen des Wettbewerbs darstellen. Zwar werden vertikale Abreden zwischen Lieferanten und Abnehmern innerhalb des Anwendungsbereichs der Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung oder der KFZ-Gruppenfreistellungsverordnung grundsätzlich vom Kartellverbot gruppenfreigestellt. Dies gilt aber nicht für sog. Kernbeschränkungen. Solche können vorliegen, wenn die mit den Rabatten verbundenen Anreize die Abnehmer darin beschränken sollen,

  • Preise völlig frei festzusetzen,
  • bestimmte Kundengruppen aktiv oder passiv zu beliefern,
  • als Sonderfall hierzu, das Internet oder den Offline-Handel zu nutzen,
  • aktiv oder passiv in bestimmte Gebiete zu verkaufen.

C. Fazit und Ausblick

Bei der Ausgestaltung von Rabattvereinbarungen sind stets die zuvor skizzierten kartellrechtlichen Grenzen zu beachten. Dies gilt umso mehr, als dass Kartellbehörden in diesem Bereich aktuell wieder vermehrt Untersuchungen einleiten. So hat beispielsweise das Bundeskartellamt im November 2023 angekündigt näher zu untersuchen, ob Coca-Cola Konditionen und Rabatte gegenüber dem Lebensmitteleinzelhandel kartellrechtskonform ausgestaltet hat (Pressemitteilung Bundeskartellamt).

Besonders relevant ist dabei das Missbrauchsverbot: Ist ein Lieferant marktbeherrschend oder relativ marktmächtig, hat er besonders darauf zu achten, dass seine Rabatte nicht missbräuchlich sind, indem sie (i) Wettbewerber verdrängen und / oder (ii) Unternehmen diskriminieren.

Unabhängig davon, ob ein Verstoß gegen das Marktmachtmissbrauchsverbot vorliegt, kann der Rabatt gegen das Kartellverbot verstoßen. Hier ist sorgfältig zu prüfen, ob die mit den Rabatten

verbundenen Anreize beispielsweise wettbewerbsschädliche Auswirkungen auf die Preissetzung der Abnehmer oder deren Auswahl und Belieferung von Kunden haben könnten.

Darüber hinaus bleibt abzuwarten, inwieweit die Europäische Kommission die aktuelle Rechtsprechung betreffend die Beurteilung von Rabatten in ihre neuen Leitlinien zur Anwendung des Art. 102 AEUV auf Fälle des Behinderungsmissbrauchs aufnehmen wird. Nach derzeitigem Stand ist die Veröffentlichung eines ersten Entwurfs für Sommer 2024 geplant.