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Drohende Verschärfung der Wegzugsbesteuerung

08.04.2020

Die Folgen aufgeschobener Wegzugspläne für internationale Unternehmerfamilien und Familienunternehmen

Die Auswirkungen von Covid-19 treffen auch Menschen, die 2020 aus Deutschland wegziehen wollten. Wann und inwieweit die momentan geltenden Mobilitätsbeschränkungen aufgehoben oder gelockert werden, ist ungewiss. Konkrete Wegzugspläne werden wohl nicht zuletzt auch aufgrund des hohen Standards im deutschen Gesundheitssystem unter Umständen neu abgewogen oder zumindest aufgeschoben. 

Zukünftig werden Wegzüge allerdings nur unter veränderten steuerlichen Rahmenbedingungen möglich bzw. nur bedingt zur Vermeidung nachteiliger steuerlicher Folgen umsetzbar sein. Aktuell berichtet z.B. der SPIEGEL über die Einführung eines zweiten Sonder-Solidaritätszuschlags und einer Vermögensabgabe zur Gegenfinanzierung der Kosten der Corona-Krise. Wegzugsgestaltungen sind diesbezüglich bereits im Fokus und es bleibt abzuwarten, wie und in welche Richtung sich die aktuellen Diskussionen entwickeln. Gegebenenfalls ist auch schnelles Handeln anzuraten. Bereits deutlich weiter fortgeschritten sind dagegen die Pläne des Bundesministeriums der Finanzen (BMF), die Wegzugsbesteuerung auf Wertsteigerungen bei Kapitalgesellschaftsanteilen anzupassen. Hier drohen ebenfalls nicht nachvollziehbare Verschärfungen. 

Mit Bearbeitungsstand 24. März 2020 hat das BMF einen zweiten Referentenentwurf für ein Gesetz zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2016/1164 vom 12. Juli 2016 zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken (sog. Anti-Steuervermeidungs-Richtlinie - kurz ATAD) vorgelegt. Nach Beschluss der Bundesregierung, der aktuell für den 22. April 2020 geplant ist, soll der Entwurf in das formelle Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden. Den ersten Referentenentwurf hatte das BMF bereits am 10. Dezember 2019 veröffentlicht. Nach dem Referentenentwurf sollen u.a. bei der im Außensteuergesetz (AStG) geregelten Wegzugsbesteuerung auf Wertsteigerungen bei Kapitalgesellschaftsanteilen bislang geltende Steuerstundungsregeln in EU-/EWR-Fällen beschnitten, der persönliche Anwendungsbereich zeitlich ausgedehnt und die Möglichkeiten zur Vermeidung der Wegzugsteuer durch Rückkehr bzw. Zuzug nach Deutschland neugefasst werden. 

Wenn das Gesetzesvorhaben ohne bedeutende Veränderung das Gesetzgebungsverfahren durchläuft, werden sich für zahlreiche Steuerpflichtige, die längere Auslandsaufenthalte planen, weitreichende Folgen und gesteigerte Anforderungen an die Steuerplanung ergeben. Dies gilt vor allem für international agierende Unternehmerfamilien und Familienunternehmen. 

Aktuell geltende Wegzugsbesteuerung bei Kapitalgesellschaftsanteilen

Betroffen von der Wegzugsbesteuerung sind Anteile an einer in- oder ausländischen Kapitalgesellschaft (z.B. GmbHs oder AGs), wenn sie mittel- oder unmittelbar von natürlichen Personen gehalten werden, die zu einem beliebigen Zeitpunkt innerhalb der letzten fünf Jahre zu mindestens 1 Prozent beteiligt waren und die insgesamt seit mindestens zehn Jahren in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig sind.

Ziehen diese Personen dauerhaft ins Ausland oder schenken oder vererben sie die Anteile an dauerhaft im Ausland lebende Personen, gelten die Anteile in bestimmten Fällen als zum gemeinen Wert veräußert. In der Folge wird unter Aufdeckung etwaiger stiller Reserven ein fiktiver Veräußerungsgewinn realisiert und besteuert, obwohl durch den Wegzug, die Schenkung oder die Vererbung grundsätzlich keine Liquidität zufließt. Nicht nur bei einem Wegzug von Gesellschaftern stellt dies eine Herausforderung dar. Auch und gerade bei Schenkungen und Erbfällen mit Auslandsbezug "über die Grenze" kann dies zu unangenehmen und unerwünschten Überraschungen führen, für die weichenden Gesellschafter wie für ihre Nachfolger.

Nach der aktuell noch geltenden Regelung ist die Wegzugsteuer regelmäßig zeitlich unbefristet (bis zur tatsächlichen Anteilsveräußerung), zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden, wenn der wegziehende, schenkende oder versterbende Gesellschafter EU-/EWR-Staatsangehöriger ist und er selbst bzw. auch der von ihm Beschenkte oder sein Erbe in einem EU-/EWR-Staat einer Steuerpflicht unterliegt, die der deutschen unbeschränkten Einkommensteuerpflicht vergleichbar ist. Demgegenüber kann bei Wegzug, Verschenkung oder Vererbung in einen Drittstaat die Wegzugsteuer lediglich in bis zu höchstens fünf Jahresraten verrentet werden, dies jedoch nur in Härtefällen gegen Verzinsung und Sicherheitsleistung. Kehrt der Gesellschafter dauerhaft nach Deutschland zurück oder zieht der Beschenkte bzw. Erbe dauerhaft nach Deutschland, kann die (gestundete) Wegzugsteuer unter bestimmten Voraussetzungen ganz entfallen.

Das BMF beabsichtigt, diese Stundungsregeln zu verschärfen, den persönlichen Anwendungsbereich der Wegzugsbesteuerung auszudehnen und die Möglichkeiten zur Vermeidung der Wegzugsteuer durch Rückkehr bzw. Zuzug nach Deutschland zu modifizieren:

Verschärfung der Stundungsregelungen

Die unbefristete und sicherheitsleistungsfreie Stundungsmöglichkeit in EU-/EWR-Konstellationen soll entfallen. Alle Fälle eines Wegzugs, einer Schenkung oder Vererbung ins Ausland sollen zukünftig gleich behandelt werden, unabhängig vom "Zielland". Die Steuer soll in voller Höhe sofort fällig oder auf Antrag in sieben gleichen, immerhin unverzinslichen Jahresraten zu begleichen sein, wobei dem Stundungsantrag in der Regel nur gegen Sicherheitsleistung entsprochen werden soll. Im Ergebnis könnte es damit auch in EU-/EWR-Konstellationen zu einer definitiven Steuerlast ohne Liquiditätszufluss kommen.

Europarechtlich würde eine solche Verschärfung in EU-/EWR-Konstellationen voraussichtlich zu neuen Diskussionen führen. Die aktuelle Stundungsmöglichkeit geht zurück auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Dieser hatte eine sofortige Besteuerung mit Liquiditätsbelastung als Verstoß gegen die europäische Niederlegungsfreiheit angesehen und eine unbefristete, zinslose und sicherheitsleistungsfreie Stundung für geboten erachtet. Es bleibt abzuwarten, ob der EuGH dies inzwischen anders beurteilen und auch eingeschränkte Stundungsmöglichkeiten akzeptieren würde. Zumal der EuGH erst kürzlich darauf hingewiesen hat, die Stundungsregeln für EU-/EWR-Konstellationen aufgrund des Freizügigkeitsabkommens mit der Schweiz unter Umständen auch auf dieses Verhältnis zu erweitern.

Auch politisch ist die beabsichtigte Verschärfung nicht nachvollziehbar. Sie widerspricht nicht zuletzt der Mittelstandsstrategie des Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) vom 1. Oktober 2019. Danach soll die Ausgestaltung der Wegzugsbesteuerung - die aufgrund der Internationalisierung "immer relevanter" wird - angepasst werden "an die Realitäten in mittelständischen Familienunternehmen … insbesondere durch Verbesserungen bei den Ausnahmeregelungen". 

Ausdehnung des persönlichen Anwendungsbereichs

Der Referentenentwurf sieht weiterhin eine Ausdehnung des persönlichen Anwendungsbereichs der Wegzugsbesteuerung vor. Während nach der gegenwärtigen Regelung die Wegzugsteuer erst greift, wenn der Gesellschafter insgesamt seit mindestens zehn Jahren in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig ist, soll es zukünftigen schon genügen, dass er innerhalb der letzten zwölf Jahre insgesamt mindestens sieben Jahre in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig war. Hierdurch könnten insbesondere Zuzügler nach Deutschland früher von der Wegzugsbesteuerung erfasst werden, insbesondere Personen, die zwar nicht dauerhaft, aber innerhalb eines Zwölfjahreszeitraum mehrmals und insgesamt sieben Jahre in Deutschland ansässig sind.

Vermeintliche Erleichterungen bei vorübergehendem Wegzug

Wie nach der aktuell geltenden Regelung soll auch nach dem Referentenentwurf die Steuer in bestimmten Konstellationen wegfallen, wenn der Wegzug von Anfang an nur als vorübergehend geplant war und der Gesellschafter nach Deutschland zurückkehrt bzw. der im Ausland lebende Beschenkte oder Erbe nach Deutschland zieht. Die Frist, innerhalb der die Steuer durch Rückkehr bzw. Zuzug nach Deutschland vermieden werden kann, soll unabhängig vom ausländischen Aufenthaltsstaat von fünf auf sieben Jahre verlängert werden. Auf Antrag soll die Frist um bis zu fünf weitere Jahre verlängert werden können, wenn die Absicht zur Rückkehr unverändert fortbesteht. Steuerpflichtige könnten dann folglich bis zu zwölf Jahre außerhalb Deutschlands ansässig sein. 

Dies ist aber nur eine vermeintliche Erleichterung. Denn in EU-/EWR-Konstellationen könnte sich diese Neuregelung auch nachteilig auswirken, weil gegenwärtig der Wegfall der Steuer bei Rückkehr bzw. Zuzug aus dem EU-/EWR-Raum sogar fristenunabhängig möglich sein kann. Es bleibt abzuwarten, ob dieser potentielle Nachteil durch vom BMF angekündigte Erleichterungen bei der Darlegung der Rückkehrabsicht kompensiert wird.

Ausblick und Empfehlung

Der weitere Verlauf und die Dauer des Gesetzgebungsverfahrens sind in der gegenwärtigen Lage kaum absehbar. Die europäische Anti-Steuervermeidungs-Richtlinie (ATAD) wäre bis zum 31. Dezember 2019 in deutsches Recht umzusetzen und ab 1. Januar 2020 anzuwenden gewesen. 

Während die vom BMF geplanten Änderungen bei der Wegzugsbesteuerung nach dem ersten Referentenentwurf bereits für den Veranlagungszeitraum 2020 gelten sollten, ist in dem zweiten Entwurf nun die Anwendung erstmals für den Veranlagungszeitraum 2021 vorgehen, also für ab dem 1. Januar 2021 erfolgende Wegzüge, Schenkungen und Erbschaften ins Ausland. Damit soll die rückwirkende Anwendung auf diejenigen Maßnahmen beschränkt werden, die durch die europäische Anti-Steuervermeidungs-Richtlinie (ATAD) veranlasst sind. Dies unterstreicht, dass die vom BMF geplanten Verschärfungen bei der Wegzugsbesteuerung europarechtlich gerade nicht veranlasst sind.

Unabhängig davon, ob die vom BMF beabsichtigten Verschärfungen Gesetz werden und gegebenenfalls auch europarechtlich Bestand haben, sollten vor allem Familienunternehmen und internationale Unternehmerfamilien durch entsprechende Gestaltungen vorsorgen, dass ihre internationale Aufstellung und Mobilität nicht zu steuerlichen Schäden führt.

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