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EU-Blocking-Verordnung vs. US-Sekundär­sanktionen: Verschärfter Zwiespalt für Unternehmen

28.12.2021

Zum EuGH-Urteil in der Rechtssache Bank Melli Iran v. Telekom Deutschland GmbH (C-124/20)

Hintergrund

Nach der Vorlage der Schlussanträge von Generalanwalt Hogan im Mai 2021 verkündete der EuGH am 21. Dezember 2021 das mit Spannung erwartete Urteil in der Rechtssache C-124/20 Bank Melli Iran: Der Gerichtshof hatte über die schwierige Frage zu entscheiden, ob Unternehmen aufgrund drohender US-Sekundärsanktionen ohne Nennung von Gründen gegenüber US-gelisteten Unternehmen ordentlich kündigen dürfen oder ob ein solches Verhalten wegen des Verstoßes gegen Artikel 5 Absatz 1 der EU-Blocking-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 2271/96) unwirksam ist.

Hintergrund der Entscheidung der Großen Kammer des EuGH ist die Kündigung mehrerer Verträge mit der iranischen Bank Melli über die Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen durch die Telekom Deutschland GmbH – einer Tochtergesellschaft der Deutschen Telekom AG, die in bedeutendem Umfang auf dem US-Markt tätig ist. Die Bank steht im Eigentum des iranischen Staates. Nach dem Austritt der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran wurde Bank Melli Iran von den USA auf die Specially Designated Nationals and Blocked Persons-Liste (SDN-Liste) gesetzt. Die SDN-Liste zieht sog. US-Sekundärsanktionen nach sich. Danach sind nach US-Recht weltweit jegliche Geschäftsbeziehungen, auch solche ohne Bezug zu den USA, u.a. mit Bank Melli Iran verboten. Bei erheblichen Zuwiderhandlungen gegen dieses Verbot droht deutschen und europäischen Unternehmen, ins Visier der US-Sanktionsbehörden zu geraten und selbst auf die SDN-Liste gesetzt zu werden (Noerr berichtete). Die US-Sekundärsanktionen werden allerdings aufgrund ihrer exterritorialen Wirkung von der EU als völkerrechtswidrig angesehen. Um diesen Völkerrechtsverstoß zu vermeiden, sowie um Beschränkungen im internationalen Handelsverkehr abzubauen, verbietet die EU-Blocking-Verordnung in ihrem Artikel 5 Absatz 1 EU-Wirtschaftsakteuren, in der Verordnung aufgeführte Sanktionen eines Drittstaates zu befolgen. Zu diesen Sanktionen gehört auch die SDN-Listung von Bank Melli Iran.

Da die Kündigung der Verträge mit Bank Melli Iran durch die Telekom Deutschland GmbH in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme der Bank auf die SDN-Liste stand, berief sich die Bank im Rechtstreit gegen die Kündigung auf Artikel 5 Absatz 1 der EU-Blocking-Verordnung, um dessen Auslegung das befasste Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg den EuGH ersuchte (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, EuGH-Vorlage vom 02. März 2020 – 11 U 116/19 –).

Neben der Frage nach dem Anwendungsbereich des Artikel 5 der EU-Blocking-Verordnung, den die Große Kammer wenig überraschend und der Wertung des Generalanwalts folgend nicht von einer drittstaatlichen Weisung abhängig erachtet, befasste sie sich insbesondere mit den Fragen der Beweislast bzgl. des Kündigungsgrundes und der Auslegung des Verbotes im Lichte der Grundsätze der unternehmerischen Freiheit und Verhältnismäßigkeit.

Beweislastumkehr kann erforderlich sein

Angesichts des Grundsatzes des deutschen Zivilrechts, Vertragsbeziehungen ohne die Angabe von Gründen ordentlich kündigen zu können und der Beweislastverteilung bei der Berufung auf die Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts gemäß § 134 BGB, setzte sich der EuGH mit der Frage auseinander, wie dieser Grundsatz mit der Wirksamkeit des Verbots aus Artikel 5 Absatz 1 der EU-Blocking-Verordnung zu vereinbaren sei.

Generalanwalt Hogan hatte sich diesbezüglich sehr deutlich positioniert und festgestellt, dass das Verbot der Blocking-Verordnung nur dann wirksam umgesetzt werden kann, wenn die kündigende Partei den Nachweis erbringt, die Vertragsbeziehungen nicht aufgrund von drittstaatlichen Sanktionsregelungen auflösen zu wollen. Der Maßstab, den der Generalanwalt für diesen Nachweis aufzeichnete, ließ die Möglichkeit, Verträge mit US-gelisteten Wirtschaftakteuren wirksam kündigen zu können, nahezu verschwinden.

Die Große Kammer folgt dieser strengen Wertung nicht vollständig. Sie erkennt immerhin mit Blick auf Artikel 5 Absatz 1 der EU-Blocking-Verordnung grundsätzlich an, dass die Beweislast für den Kündigungsgrund bei der Partei liegen kann, die sich auf den Verstoß gegen dieses Verbot beruft. Insbesondere folge aus der EU-Blocking-Verordnung selbst nicht grundsätzlich, dass die Kündigung von Verträgen mit drittstaatlich sanktionierten Wirtschaftsakteuren nur unter der Angabe von Gründen möglich sei. Die Richterinnen und Richter unterstreichen aber auch die Schwierigkeit für Außenstehende, die Motivation für eine unternehmerische Entscheidung beweisen zu können und betonen die Relevanz, die dieser schwierige Nachweis bei Anwendung der herkömmlichen Beweisregelung für die Wirksamkeit des Verbots der EU-Blocking-Verordnung habe. Dieses Spannungsgefüge löst die Große Kammer über einen Ansatz, der dem des BGH zur sekundären Darlegungslast vergleichbar ist: sofern die Beweismittel im Prozess auf den ersten Blick darauf hindeuten, dass die kündigende Partei mit ihrem Verhalten drittstaatlichen Sanktionen Folge leisten wollte, muss die kündigende Partei diesen Eindruck rechtlich hinreichend widerlegen.

Mit dieser Wertung ist die Große Kammer zwar weniger absolut als vom Generalanwalt vorgeschlagen. Dennoch räumt der EuGH dem Verbot der Befolgung drittstaatlicher Sanktionen weitreichendere Wirksamkeit ein, als dies der Wortlaut der Blocking-Verordnung oder auch die EU-Kommission in ihrem Leitfaden zur Annahme der aktualisierten Blocking-Verordnung tun. Nach letzterem können Unternehmen frei entscheiden, eine Geschäftstätigkeit in Iran oder Kuba aufzunehmen, fortzusetzen oder einzustellen.

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt Verbot der Blocking-Verordnung

Lediglich bezüglich der dritten Vorlagefrage ließ der EuGH auch Grenzen des Verbotes erkennen. So sei es grundsätzlich mit dem Grundrecht der unternehmerischen Freiheit (Artikel 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh)), sowie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Artikel 52 GRCh) vereinbar, dass eine Kündigung – sollte sie aufgrund der US-Sanktionen ausgesprochen worden sein – gem. § 134 BGB nichtig und damit rechtlich unwirksam wäre. Der EuGH unterstreicht diesbezüglich aber, dass es zwingende Aufgabe des vorlegenden Gerichts ist, die Verhältnismäßigkeit der Unwirksamkeit der Kündigung zu überprüfen. Hierfür stellt die Große Kammer zu berücksichtigende Aspekte im Sinne einer Richtschnur für die nationalen Gerichte auf: zu berücksichtigen sei, mit welcher Wahrscheinlichkeit und in welchem Ausmaß die kündigende Partei – hier also die Telekom Deutschland GmbH – unverhältnismäßigen Auswirkungen ausgesetzt werde, wenn sie am Vertrag mit einer von US-Sekundärsanktionen erfassten Person festhalten müsse. In diese Wertung sei allerdings wiederum auch miteinzubeziehen, dass die Telekom Deutschland GmbH vor ihrer Kündigung nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, eine Genehmigung für die Kündigung bei der Europäischen Kommission nach Artikel 5 Absatz 2 der EU-Blocking-Verordnung zu beantragen – eine Möglichkeit, die sich in der Praxis nicht durchgesetzt hat.

Ausblick – Unternehmen zunehmend zwischen Skylla und Charybdis

Dieses vielerwartete Urteil lässt wenig Zweifel an der Haltung des EuGH zur EU-Blocking-Verordnung: EU-Wirtschaftsakteure sind ausschließlich an EU-Sanktionsregeln gebunden und es ist ihnen in den allermeisten Fällen verboten, drittstaatliche Sanktionsregeln zu befolgen. Rechtsgeschäfte, die diesem Verbot widersprechen, sind in der Regel unwirksam. Damit bleibt es bei dem Zwiespalt, in dem sich international agierende Wirtschaftsakteure aus der EU befinden, weil sie sich zwischen unionsrechtskonformen Verhalten und dem Risiko wirtschaftlich sehr empfindlicher US-Sekundärsanktionen entscheiden müssen. Zwar öffnet die Betonung der erforderlichen Verhältnismäßigkeit ein kleines Fenster zu einer differenzierten Betrachtungsweise durch die nationalen Gerichte. Im vorliegenden Ausgangsverfahren wird nun das Hanseatische Oberlandesgericht über den Fall entscheiden und klären müssen, ob die Kündigung durch die US-Sekundärsanktionen motiviert war und ob der Telekom Deutschland GmbH angesichts ihrer umfangreichen Aktivitäten in den USA „unverhältnismäßigen Auswirkungen“ durch die Aufrechterhaltung der Vertragsbeziehungen mit Bank Melli Iran drohen.

Letztlich bleibt es daher bei einer rechtlich und wirtschaftlich herausfordernden Situation für EU-Wirtschaftsakteure. Der deutlichen Kritik an der EU-Blocking-Verordnung und dem klaren Appell des Generalanwalts an den europäischen Gesetzgeber schließt sich die Große Kammer in ihrem Urteil nicht an. Es bleibt abzuwarten, ob die EU auch unabhängig davon zu einer besser praktikablen Lösung bei sich widersprechenden Sanktionsregimen kommt. Der Konsultationsprozess, den die Europäische Kommission mit Blick auf eine Änderung der Blocking-Verordnung im Herbst 2021 durchführte, lässt diese Möglichkeit jedenfalls offen. 

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