6. Europäische Restrukturierungskonferenz der Kanzlei Noerr

09.05.2014

Die Beteiligung internationaler Investoren bei der Rettung von deutschen Unternehmen aus Krise und Insolvenz hat weiter zugenommen. Teilnehmer des heutigen European Restructuring Day der Wirtschaftssozietät Noerr werteten dies unter anderem als einen Erfolg der vor zwei Jahren reformierten deutschen Insolvenzordnung und diskutierten auf dem Kongress u.a. über die Rolle von Distressed-Investoren und Debt Funds in Sanierungsprozessen. Andererseits kritisierten Investoren fehlende Möglichkeiten zu Zwangsvergleichen mit einzelnen Gläubigergruppen, wie dies in anderen europäischen Jurisdiktionen möglich ist. Begrüßt wurde hingegen der Gesetzentwurf des Bundesrates, in geeigneten Fällen auch Englisch als Gerichtssprache zuzulassen. Dies sei gerade in Insolvenzverfahren mit vielen ausländischen Gläubigern wünschenswert.

„Das Aufkommen neuer Player zeigt das große Interesse am deutschen Restrukturierungsmarkt“, sagte Noerr-Partner Dr. Thomas Hoffmann, der die Veranstaltung vor 150 Teilnehmern moderierte. Als ein gelungenes Beispiel für die Beteiligung von Debt Funds bezeichnete Hoffmann die erfolgreiche Sanierung der A.T.U-Gruppe, die auch im Mittelpunkt einer Case-Study stand: Christian Sailer, Finanzchef, und Dr. Christoph von Wilcken von Schultze & Braun berichteten den Teilnehmern aus erster Hand über ihre Erfahrungen. Über die Rolle von Distressed-Investoren im europäischen Kontext diskutierte schließlich ein hochkarätig besetztes Panel um Noerr-Partner Dr. Thomas Schulz.

„Das selbstgesteckte Ziel, mit dem Insolvenzreformgesetz ESUG in die erste Liga der für Investoren attraktiven europäischen Insolvenzverfahren aufzusteigen, hat der Gesetzgeber aber noch nicht völlig erreicht“, sagte Hoffmann. Auch wenn die aktuelle ESUG-Studie von Noerr und Roland Berger Strategy Consultants erst kürzlich hohe Zustimmungswerte bei Praktikern ermittelte, beobachtet der erfahrene Restrukturierungsexperte bei internationalen Investoren immer noch eine gewisse Zurückhaltung. Dies hänge unter anderem mit fehlenden Möglichkeiten zusammen, das Gerichtsverfahren in englischer Sprache zu führen, und auch damit, dass das gerichtliche Verfahren immer alle Gläubiger gleichermaßen erfasse und nicht nur isoliert auf einzelne Gläubigergruppen angewendet werden könne, wie dies beispielsweise nach englischem Recht möglich sei. Diese Umstände würden dazu führen, dass große syndizierte Kreditverträge noch nachträglich englischem Recht unterworfen würden, um eine Zuständigkeit englischer Gerichte zu erreichen.

Letzteres erleichtere den Sanierungsprozess in Konzernverbünden erheblich, betonte Martin Kleinschmitt, Vorstand der Noerr Consulting AG, bereits bei der Eröffnung des European Restructuring Day am Donnerstag: „Nach derzeitiger Rechtslage kann ein Tochterunternehmen nur dann aus der Haftung entlassen werden, wenn jeder drittbesicherte Finanzgläubiger zugestimmt hat.“ Dies erhöhe die Dauer und Komplexität der Verfahren unnötig. In diesem Zusammenhang wies er darauf hin, dass das Schuldverschreibungsgesetz die Aufgabe von Drittsicherheiten mit qualifizierter Mehrheit bei Anleihen bereits außerhalb des Insolvenzverfahrens zulässt und auch das als Konkurrenz empfundene Scheme of Arrangement nach englischem Recht dies ermöglicht.

Ausdrücklich unterstützten die Noerr-Restrukturierungsexperten den aktuellen Gesetzentwurf des Bundesrats vom 30. April, der die Zulassung von Englisch als Gerichtssprache in geeigneten Fällen zum Ziel hat. „Dies sollte aber keinesfalls nur auf streitige Verfahren begrenzt werden, sondern gerade in Insolvenzverfahren mit vielen ausländischen Gläubigern – genannt seien nur die Großverfahren Lehman Brothers Bankhaus AG, Arcandor AG und IVG AG – als Option zur Verfügung stehen. Nur so kann bei internationalen Gläubigern das in Sanierungsverfahren unerlässliche Vertrauen in eine gerichtliche Wahrung ihrer Interessen sichergestellt werden“, betonte Hoffmann. Ein entsprechender Gesetzentwurf war bereits in der letzten Legislaturperiode vom Bundesrat beschlossen und im Bundestag beraten worden, nach Ablauf der Legislaturperiode aber verfallen.

Im weiteren Verlauf des Restructuring Day standen insbesondere Case Studies im Mittelpunkt der Diskussionen, u.a. zum Nürburgring, zu Global PVQ (ehemals Q-Cells) und zur Situation in der Schiffsbranche. In seiner Key-Note ordnete der Insolvenz- und Gesellschaftsrechtsexperte und Mitglied des Rechts- und Europaausschusses des Deutschen Bundestages Prof. Dr. Heribert Hirte die Reform des deutschen Insolvenzrechts in den gesamteuropäischen Kontext ein, insbesondere in Bezug auf die unterschiedlichen Ausgangslagen für die Sanierung von Konzernen. Dabei wies er auf die aktuelle Diskussion der Frage hin, ob das Recht der Insolvenzanfechtung schon jetzt in den Reformprozess einbezogen werden sollte.