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Abweisende ausländische Aufhebungsentscheidungen über Schiedssprüche nicht bindend

08.05.2023

Inländische Schiedssprüche können in Deutschland gemäß § 1059 ZPO aufgehoben werden, wenn einer der in § 1059 Abs. 2 ZPO abschließend aufgelisteten Gründe vorliegt. Einen entsprechenden Antrag kann die unterlegene Partei beim Oberlandesgericht (OLG) stellen. Liegen solche Aufhebungsgründe vor, hebt das OLG den Schiedsspruch auf. Damit kann der Schiedsspruch in Deutschland nicht mehr vollstreckt werden.

Im Hinblick auf ausländische Schiedssprüche, also solche, bei denen der Sitz des Schiedsverfahrens nicht in Deutschland liegt, waren demgegenüber bislang insbesondere zwei Fragen zur Vollstreckbarkeit und deren Feststellung ungeklärt, die der Bundesgerichtshof (BGH) nun erstmals entschieden hat:

  • Mit Beschluss vom 09.03.2023 (I ZB 33/22) hat der BGH festgehalten, dass erfolglose ausländische Aufhebungsverfahren gegenüber deutschen Gerichten keine Bindungswirkung entfalten.
  • Darüber hinaus hat der BGH erstmals höchstrichterlich geklärt, dass unterlegene Parteien ausländischer Schiedsverfahren die Möglichkeit haben, beim OLG einen Feststellungsantrag zu stellen, den ausländischen Schiedsspruch in Deutschland nicht anzuerkennen.

Hintergrund der BGH-Entscheidung

Gegenstand der nun ergangenen Entscheidung ist ein im Jahr 2019 erlassener Schiedsspruch eines Schiedsgerichtes mit Sitz in Moskau. Mit dem Schiedsspruch wurden vier Gesellschaften aus der Unternehmensgruppe eines deutschen Getränkeherstellers – wie auch drei ehemalige Geschäftsleiter der Unternehmensgruppe – gesamtschuldnerisch zu Schadenersatzzahlungen in Höhe von knapp EUR 50 Millionen verurteilt. Grundlage dieses Schiedsverfahrens war eine Schiedsklausel in einem Vertrag zwischen dem Kläger und einer der vier beklagten Gesellschaften. Die übrigen beklagten Konzerngesellschaften wurden dabei durch das Schiedsgericht als Nicht-Vertragspartner im Zusammenhang mit einer „Durchgriffshaftung“ und auf Grundlage parallel geschlossener Verträge mit dem Kläger in die Schiedsvereinbarung mit einbezogen.

Gegen den Schiedsspruch gingen die Unterlegenen im Wege eines Aufhebungsverfahrens in Russland vor. Dieses Verfahren blieb erfolglos und der Schiedsspruch damit in Kraft. Um einer Vollstreckung in Deutschland entgegenzuwirken, erhoben die unterlegenen Konzerngesellschaften beim OLG Koblenz negative Feststellungsklage auf Versagung der Anerkennung des Schiedsspruchs. Widerklagend beantragte der Schiedskläger die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs.

Das OLG Koblenz entschied mit Beschluss vom 31.03.2022 (2 Sch 3/20), dass der Schiedsspruch in Deutschland mangels sachlich wirksamer Schiedsklausel in Bezug auf die geltend gemachten Ansprüche sowie mangels persönlicher Reichweite der Schiedsklausel in Bezug auf die nicht am Vertrag beteiligten Konzerngesellschaften nicht vollstreckbar sei. Im Übrigen lehnte es die Zulässigkeit eines negativen Feststellungsantrags betreffend die Vollstreckbarkeit durch einen Unterlegenen in einem ausländischen Schiedsverfahren ab.

Gegen diese Entscheidung des OLG Koblenz legte der Schiedskläger Rechtsbeschwerde zum BGH ein. Mit Beschluss vom 12.01.2023 stellte der BGH erstmals fest, dass Vollstreckungsschuldner im Rahmen von Verfahren auf Vollstreckbarerklärung von Schiedssprüchen Prozesskostensicherheit verlangen können (§§ 110 ff ZPO analog). Noerr berichtete (Insights-News vom 25.04.2023).

Die Entscheidung des BGH

Der BGH bestätigte das Urteil des OLG Koblenz insofern, als er klarstellte, dass eine Bindung deutscher Gerichte an abweisende ausländische Aufhebungsverfahren nicht besteht und im vorliegenden Fall nach deutschem Recht keine wirksame Schiedsklausel vorlag. Damit kann der Schiedsspruch in Deutschland nicht vollstreckt werden. Weiterhin entschied der BGH, dass – und insoweit vom Ergebnis des OLG Koblenz abweichend – Vollstreckungsschuldnern ausländischer Schiedssprüche die Möglichkeit offensteht, beim OLG einen Antrag auf Feststellung der Nichtanerkennung des Schiedsspruches in Deutschland zu stellen:

a) Keine Bindungswirkung erfolgloser ausländischer Aufhebungsentscheidung

Der BGH begründet die Entscheidung, dass erfolglose Aufhebungsverfahren vor ausländischen staatlichen Gerichten für deutsche Gerichte keine Bindungswirkung entfalten können, im Wesentlichen mit den folgenden Erwägungen:

  • Die Anforderungen an eine Aufhebungsentscheidung vor den Gerichten des Ursprungsstaates des Schiedsspruches und eine Vollstreckbarkeitsentscheidung vor den Gerichten des Vollstreckungsortes sind unterschiedlich: Die Aufhebungsentscheidung richtet sich nach der Vereinbarkeit des Schiedsspruchs mit den lokalen Schiedsverfahrensgesetzen (lex loci arbitri). Die Vollstreckbarkeitsentscheidung richtet sich hingegen nach der Vereinbarkeit des Schiedsspruchs mit den Anforderungen des New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (NYÜ).
  • Eine Bindung des Vollstreckungsgerichts an eine negative Aufhebungsentscheidung würde im Ergebnis das NYÜ aushöhlen: Nach Maßgabe dieses völkerrechtlichen Vertrags ist die Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche allein an dem international harmonisierten Maßstab von Art. V NYÜ zu messen. Die Entscheidung hierüber haben die Gerichte des Vollstreckungsstaates eigenständig zu treffen.

Das OLG Koblenz konnte somit feststellen, dass (i) deutsches Recht auf die Schiedsklausel anwendbar ist, (ii) dass nach deutschem Recht grundsätzlich eine Erweiterung der Schiedsklausel auf Nicht-Vertragsparteien auf Grundlage einer Durchgriffshaftung ausgeschlossen ist, und, (iii) dass im vorliegenden Fall der Streitgegenstand sachlich nicht von der Schiedsklausel gedeckt war. Damit war die Ablehnung der Vollstreckung durch das OLG Koblenz rechtsfehlerfrei.

b) Feststellungantrag über Nichtanerkennung eines ausländischen Schiedsspruchs zulässig

Der BGH entschied weiter, dass Vollstreckungsgläubigern ausländischer Schiedssprüche die Möglichkeit eines negativen Feststellungsantrags vor dem OLG offensteht. Die Entscheidung beruht auf den folgenden Erwägungen:

  • Aus der Garantie effektiven Rechtsschutzes folgt, dass eine im ausländischen Schiedsverfahren unterlegene Partei – auch vor Beginn des Exequaturverfahrens – die Möglichkeit haben muss, die Anerkennungsfähigkeit des ausländischen Schiedsspruchs vor deutschen Gerichten zu prüfen.
  • Der richtige Rechtsbehelf hierfür ist ein Antrag auf Feststellung der Nichtanerkennung des Schiedsspruchs analog §§ 1062 Abs. 1 Nr. 4, 1061 Abs. 2 ZPO vor dem OLG, da für diese Konstellation eine planwidrige Regelungslücke im Gesetz besteht. Eine dem § 1059 Abs. 3 ZPO entsprechende 3-Monatsfrist muss dabei nicht eingehalten werden.

Damit war der Antrag der Vollstreckungsgläubiger auf negative Feststellung der Vollstreckbarkeit des Schiedsspruches vor dem OLG Koblenz (ursprünglich) statthaft, zulässig und begründet.

Auswirkungen der neuen BGH-Rechtsprechung

Mit der Entscheidung bekräftigt der BGH die exklusive Bedeutung des NYÜ für Fragen der Exequatur und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche und erweitert die prozessualen Möglichkeiten unterlegener Parteien ausländischer Schiedsverfahren in Deutschland.

Unterlegene Parteien haben nun erstmals die rechtssichere Möglichkeit, die Vollstreckbarkeit eines ausländischen Schiedsspruchs auch proaktiv von deutschen Gerichten prüfen zu lassen, wenn eine Vollstreckung in Deutschland zu erwarten ist. Sie müssen also insoweit nicht mehr erst darauf warten, dass der Vollstreckungsgläubiger ein Vollstreckbarerklärungsverfahren einleitet, in dem der Vollstreckungsschuldner die Unwirksamkeit des Schiedsspruchs nach deutschem Recht einwenden kann. Außerdem sind die unterlegenen Parteien dabei nicht an Fristen für die Erhebung des Feststellungsantrags gebunden. Dass hierbei von einem früheren erfolglosen Aufhebungsverfahren im Ursprungsstaat des Schiedsspruches keine Bindungswirkung ausgeht, ergibt sich nach der Begründung des BGH aus den unterschiedlichen Prüfmaßstäben, die jeweils anzuwenden sind. Die nun ergangene Entscheidung beendet die diesbezüglich bislang bestehende Rechtsunsicherheit und stellt klar, dass deutsche Gerichte die Vollstreckungsversagungsgründe des NYÜ umfassend und eigenständig zu prüfen haben.