BAG zum Verwässerungsausgleich für dividendenabhängige Sonderrechte nach effektiver Kapitalerhöhung
Das BAG hat mit seinem Urteil vom 27.06.2018 (Az.: 10 AZR 295/17) entschieden, dass im Falle der Kapitalerhöhung gegen Einlagen (sog. effektive Kapitalerhöhung) die Vorschrift des § 216 Abs. 3 S. 1 AktG, die unmittelbar nur die Erhöhung des Grundkapitals aus Gesellschaftsmitteln (sog. nominelle Kapitalerhöhung) betrifft, keine entsprechende Anwendung findet. Der Inhaber dividendenabhängiger Sonderrechte (bspw. Tantiemen) kann grundsätzlich keine prozentuale Anpassung seines Auszahlungsanspruchs an die infolge einer effektiven Kapitalerhöhung erhöhte Aktienzahl verlangen. Er ist – vorbehaltlich einer vertraglichen Anpassung seines Anspruchs (bspw. gemäß § 313 Abs. 1 BGB) – vor potentiellen Verwässerungen durch die Kapitalerhöhung nicht geschützt. Mit dieser Entscheidung spricht sich das BAG gegen die in der gesellschaftsrechtlichen Literatur bislang überwiegende Auffassung aus.
Entscheidungen der Vorinstanzen
Die Beklagte hatte dem bei ihr beschäftigten Kläger im Jahr 1991 eine Tantieme zugesagt, deren Höhe unter anderem von der Dividende abhängig war, die pro ausgegebener Aktie von der Beklagten gezahlt wurde. Zwischen 1990 und 2010 wurden die Zahl der ausgegebenen Aktien und das Grundkapital der Beklagten um insgesamt 75 % erhöht.
Mit seiner Klage verlangte der Kläger von der Beklagten ebenfalls um 75 % erhöhte Tantiemen für das Geschäftsjahr 2010. Während das ArbG Frankfurt am Main (Urt. v. 08.12.2015 – 8 Ca 441/15) der Klage stattgab, hat das LAG Hessen (Urt. v. 07.04.2017 – 14 Sa 303/16) die Klage auf die Berufung der Beklagten hin abgewiesen. Der Anspruch des Klägers auf eine Erhöhung der Tantiemen ergebe sich insbesondere nicht aus einer entsprechenden Anwendung von § 216 Abs. 3 S. 1 AktG:
- Es bestehe bereits keine planwidrige Regelungslücke, da der Gesetzgeber den Anpassungsmechanismus des § 216 Abs. 3 S. 1 AktG ausdrücklich nur für den Ausnahmefall der nominellen Kapitalerhöhung geregelt habe.
- Ferner sei keine vergleichbare Interessenlage gegeben. Der Inhaber dividendenabhängiger Sonderrechte sei von der effektiven Kapitalerhöhung nicht in gleicher Weise betroffen. Die nominelle Kapitalerhöhung führe durch die Erhöhung des dividendenberechtigten Kapitals ohne gleichzeitigen Mittelzufluss von außen regelmäßig zu einem prozentualen Absinken des Dividendenbetrages und damit auch des wirtschaftlichen Wertes dividendenabhängiger Sonderrechte. Demgegenüber stärke die effektive Kapitalerhöhung jedenfalls mittelfristig auch die Ertragslage und damit die Dividendenausschüttungsmöglichkeiten der Gesellschaft, welche wiederum dividendenabhängige Sonderrechte aufwerte. Hinzu komme, dass sich der zum Ausgleich einer Wertverwässerung notwendige Betrag im Falle der effektiven Kapitalerhöhung nicht durch eine simple Rechenoperation nach dem Vorbild des § 216 Abs. 3 S. 1 AktG lösen lasse. Bereits die Frage nach dem „Ob“ einer Aktienausgabe unter Wert sei nur durch eine Unternehmensbewertung erkennbar.
Entscheidung des BAG
Auf die Revision des Klägers hin hat das BAG die Entscheidung der Berufungsinstanz bestätigt. Zur Begründung stützt sich das BAG, soweit sich dies bereits aus der veröffentlichten Pressemitteilung ergibt, auf dieselbe Argumentation wie das LAG. Für die Übertragbarkeit des § 216 Abs. 3 S. 1 AktG auf den Fall der effektiven Kapitalerhöhung fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke. Zudem sei die fehlende Übertragbarkeit des § 216 Abs. 3 S. 1 AktG interessengerecht.
Verbleibende Möglichkeit der vertraglichen Anpassung
Sowohl das LAG als auch das BAG machten jedoch deutlich, dass im Einzelfall die Möglichkeit einer vertraglichen Anpassung des Auszahlungsanspruchs des Sonderrechtsinhabers verbleibe:
- Es besteht zum einen die Möglichkeit der Anpassung durch ergänzende Vertragsauslegung. Dazu bedarf es aus Sicht der Vertragsparteien einer planwidrigen Regelungslücke. Es muss dem Vertrag durch Auslegung entnommen werden können, dass der Inhaber des dividendenabhängigen Sonderrechts mit Blick auf den Schutz vor Wertverwässerungen durch Kapitalerhöhungen wirtschaftlich einem Aktionär gleichgestellt werden soll.
- Denkbar ist zudem eine Anpassung der Zusagevereinbarung auf der Grundlage von § 313 Abs. 1 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage). Dazu müssen sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, ohne dass sie in den Risikobereich nur einer Partei fallen, nach Vertragsschluss derart schwerwiegend verändert haben, dass jedenfalls einer Partei das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Das LAG hat angedeutet, dass eine derart schwerwiegende Veränderung der Geschäftsgrundlage etwa in der Ausgabe neuer Aktien unter Wert liegen könne, wenn es infolgedessen zu einer tatsächlichen Dividendenkürzung oder einer sonstigen signifikanten Wertverwässerung gemessen am tatsächlichen Unternehmenswert komme. Die Darlegungs- und Beweislast trifft insoweit den Inhaber des Sonderrechts.
Da sowohl eine ergänzende Vertragsauslegung als auch die Vertragsanpassung gemäß § 313 Abs. 1 BGB mit Rechtsunsicherheiten verbunden sind, ist zu empfehlen, dass die Auswirkungen effektiver Kapitalerhöhungen auf das dividendenabhängige Sonderrecht ausdrücklich in der Zusagevereinbarung geregelt werden, um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.
Relevanz auch für sonstige Fälle
Die Frage der Auswirkungen einer Kapitalmaßnahme auf dividendenabhängige Sonderrechte kann sich auch jenseits der in die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte fallenden Anwendungsfälle stellen. Unmittelbaren Einfluss hat eine effektive Kapitalerhöhung etwa auf Wandel- und Optionsanleihen, Gewinnschuldverschreibungen und dividendenbezogene Genussrechte sowie auf dividendenabhängige Gewinnbeteiligungen, die den Mitgliedern von Vorstand und Aufsichtsrat eingeräumt werden. Fehlt eine vertragliche Regelung und führt auch eine Vertragsauslegung oder –anpassung nicht zu einer interessengerechten Lösung, ist nicht auszuschließen, dass die in diesem Fall zuständigen Zivilgerichte in Anbetracht der abweichenden Auffassung in der gesellschaftsrechtlichen Literatur von der Rechtsprechung des BAG abweichen. Vor einer abweichenden Entscheidung des BGH würde dann eine Klärung der Rechtsfrage durch den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (vgl. Art. 95 Abs. 3 GG i.V.m. § 2 RsprEinhG) erfolgen müssen.
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