Barabfindung im Falle des Squeeze-Outs bei Vorliegen eines (Beherrschungs- und) Gewinnabführungsvertrags
Der BGH hat mit Beschluss vom 12. Januar 2016 (II ZB 25/14) eine Grundsatzentscheidung zu der bisher in der OLG-Rechtsprechung umstrittenen Frage getroffen, ob im Falle eines Squeeze-Outs bei beherrschten Unternehmen für die Barabfindung ausgeschlossener Minderheitsaktionäre ausschließlich der Barwert der Ausgleichszahlungen maßgeblich ist oder ob unter bestimmten Voraussetzungen zumindest auch auf den anteiligen Unternehmenswert abgestellt werden muss. Dabei ist der BGH der letztgenannten Ansicht gefolgt.
Amtlicher Leitsatz:
Für die Angemessenheit der Barabfindung im Falle des Ausschlusses von Minderheitsaktionären ist bei Vorliegen eines (Beherrschungs- und) Gewinnabführungsvertrags der auf den Anteil des Minderheitsaktionärs entfallende Anteil des Unternehmenswerts jedenfalls dann maßgeblich, wenn dieser höher ist als der Barwert der aufgrund des (Beherrschungs- und) Gewinnabführungsvertrags dem Minderheitsaktionär zustehenden Ausgleichszahlungen.
Zusammenfassung der Gründe
Die Antragstellerin war Aktionärin der inzwischen aus dem Spruchverfahren ausgeschiedenen Antragsgegnerin zu 1, deren Mehrheitsgesellschafterin mit einem Anteil von 98,8 % der Aktien die Antragsgegnerin zu 2 war. Die Antragsgegnerinnen schlossen am 30. Mai 2001 einen Gewinnabführungsvertrag, in dem eine Ausgleichszahlung in Höhe von 15,34 € und eine Barabfindung für außenstehende Aktionäre in Höhe von 285,64 € festgesetzt waren.
Mit Einladung zur Hauptversammlung am 29. Mai 2002 wurde bekannt, dass die Antragsgegnerin zu 2 den Ausschluss der Minderheitsaktionäre der Antragsgegnerin zu 1 beabsichtigte. Der gewichtete durchschnittliche Börsenkurs zu diesem Zeitpunkt belief sich auf 296,25 €. Da man den Börsenkurs für nicht aussagekräftig hielt, wurde die Abfindung unter Berücksichtigung des geringeren anteiligen Unternehmenswertes auf der Grundlage einer Fortschreibung der im Gewinnabführungsvertrag festgesetzten Barabfindung auf 281,98 € festgesetzt..
Daraufhin haben mehrere Minderheitsaktionäre ein Spruchverfahren eingeleitet mit dem Ziel, die Angemessenheit der gewährten Abfindung gerichtlich überprüfen zu lassen. Das Oberlandesgericht hatte die Sache nach § 12 Abs. 2 Satz 2 SpruchG a.F., § 28 Abs. 2 und 3 FGG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt, weil entscheidungserheblich sei, ob zur Bestimmung der angemessenen Abfindung bei Vorliegen eines Unternehmensvertrags auf den Barwert der Ausgleichszahlungen oder den anteiligen Ertragswert der Gesellschaft abzustellen sei. Dies sei umstritten.
Der BGH stellte zunächst fest, dass nach § 327f Satz 2 AktG das Gericht im Spruchverfahren die angemessene Barabfindung zu bestimmen habe, wenn die vom Hauptaktionär festgelegte Barabfindung nicht angemessen ist. Zur Auslegung dieser Vorschrift gehöre die rechtliche Bestimmung der Angemessenheit. Ziel dieser Bewertung sei es, den "vollen, wirklichen" Wert der Unternehmensbeteiligung zu ermitteln. Es sei eine Rechtsfrage, ob eine vom Tatrichter gewählte Bewertungsmethode oder ein innerhalb der Bewertungsmethode gewähltes Berechnungsverfahren den gesetzlichen Bewertungszielen widerspricht.
Die Entscheidung, ob bei beherrschten Unternehmen für die Barabfindung ausgeschlossener Minderheitsaktionäre allein auf den Barwert der Ausgleichszahlungen abzustellen oder (zumindest auch) der anteilige Unternehmenswert heranzuziehen sei, hängt nach Auffassung des BGH von der Rechtsfrage ab, ob der Wert der Minderheitsanteile sich auf die mit ihr verbundenen Erträge in Form der Ausgleichszahlungen beschränke und diese damit den als Bewertungsziel anzusehenden "vollen, wirklichen" Wert zutreffend wiedergeben oder ob die Minderheitsanteile darüber hinaus einen Wert haben (können), der nur im anteiligen Unternehmenswert zutreffend abgebildet werden könne.
Der BGH ist der Ansicht, dass für die Angemessenheit der Barabfindung im Falle des Ausschlusses von Minderheitsaktionären nach §§ 327a, b AktG bei Vorliegen eines (Beherrschungs- und) Gewinnabführungsvertrags der auf den Anteil des Minderheitsaktionärs entfallende Anteil des Unternehmenswerts jedenfalls dann maßgeblich sei, wenn dieser höher ist als der Barwert der aufgrund des (Beherrschungs- und) Gewinnabführungsvertrags dem Minderheitsaktionär zustehenden Ausgleichszahlungen.
Der BGH betont, dass ein Minderheitsaktionär, der seine mitgliedschaftliche Stellung verliert, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für den Verlust seiner Rechtsposition und die Beeinträchtigung seiner vermögensrechtlichen Stellung wirtschaftlich voll entschädigt werden müsse. Dabei habe die Entschädigung den "wirklichen" oder "wahren" Wert des Anteilseigentums widerzuspiegeln.
Bei der Ermittlung des "wahren" Werts des Anteilseigentums handele es sich in erster Linie um eine Frage des einfachen Rechts, bei der aus verfassungsrechtlichen Gründen allerdings eine im gegebenen Fall geeignete und aussagekräftige Methode gewählt werden müsse, die den vollen Ausgleich für den von den Minderheitsaktionären hinzunehmenden Verlust sicherstellt, der jedenfalls nicht unter dem Verkehrswert liegen dürfe. Ferner sei ein existierender Börsenkurs bei der Abfindung zu berücksichtigen, weil bei der Bestimmung der angemessenen Barabfindung der ausgeschiedenen Aktionäre nach §§ 327a, b AktG auch darauf abzustellen sei, was sie im Falle einer freien Desinvestitionsentscheidung zum Zeitpunkt der unternehmensrechtlichen Maßnahme erhalten hätten. Der Börsenwert bilde dabei regelmäßig die Untergrenze einer zu gewährenden Abfindung
Bei der Bestimmung der Abfindung durch Ermittlung des Unternehmenswerts oder durch Berücksichtigung des Börsenwerts der Aktien handele es sich nicht um die Wahl zwischen verschiedenen Bewertungsobjekten. Maßgeblich sei immer der "wahre" Wert der Beteiligung des Minderheitsaktionärs, den die Entschädigung für den Verlust des Aktieneigentums aus verfassungsrechtlichen Gründen widerspiegeln müsse. Könne im konkreten Fall von der Möglichkeit einer effektiven Informationsbewertung durch den Börsenkurs nicht ausgegangen werden, so dass der Börsenkurs keine verlässliche Aussage über den (mindestens zu gewährenden) Verkehrswert der Unternehmensbeteiligung erlaube, sei der Anteilswert aufgrund einer Unternehmensbewertung zu ermitteln.
Dieser Gleichlauf zwischen dem Wert des (einzelnen) Anteils und dem anteiligen Unternehmenswert ist aus Sicht des BGH auch dann gegeben, wenn ein (Beherrschungs- und) Gewinnabführungsvertrag geschlossen wurde. Der Wert des Anteils des (außenstehenden) Minderheitsaktionärs habe sich durch den Unternehmensvertrag nicht vollständig vom Unternehmenswert abgekoppelt. In vermögensrechtlicher Hinsicht umfasse die Beteiligung an einem Unternehmen nicht nur die Aussicht auf eine Dividende, die vorliegend vorübergehend durch den festen Ausgleichsanspruch ersetzt wird, sondern darüber hinaus den Anteil an der Vermögenssubstanz, auf den bei Auflösung und Liquidation ein Anspruch besteht. Eine mittels der Ausgleichszahlungen berechnete Abfindung decke deshalb unter Umständen nicht den vollständigen, "wahren" Wert der Beteiligung ab.
Der Wert des Anteils werde jedenfalls dann nicht zutreffend abgebildet, wenn sich der Unternehmenswert, wie hier, seit dem Stichtag, auf den die angemessenen Ausgleichszahlungen i.S.d. § 304 AktG ermittelt wurden, erhöht hat.
Beim Unternehmensvertrag trete die gewinnunabhängige, in der Regel festbemessene Ausgleichzahlung nach § 304 AktG an die Stelle der sonst aus dem Bilanzgewinn auszuschüttenden Dividende und stelle wirtschaftlich nichts anderes dar als die Verzinsung der vom Aktionär geleisteten Einlage; die Entgegennahme der Ausgleichszahlung sei Fruchtziehung, während die Barabfindung gemäß § 305 AktG den Stamm des Vermögens repräsentiere, der durch die Ausgleichzahlung nicht angerührt werde.
Die Ausgleichszahlungen stellen nach Ansicht des BGH dabei nur einen vorübergehenden pauschalierten Ersatz für die Dividende dar, auf die andernfalls Aussicht bestünde. Auch wenn ein (Beherrschungs- und) Gewinnabführungsvertrag auf unbestimmte Zeit geschlossen werde und es keine konkreten Anhaltspunkte für seine baldige Beendigung gebe, sei es nicht auszuschließen, dass sich die Verhältnisse in der Zukunft wieder ändern und der Aktionär aufgrund einer Beendigung des Vertrags wieder an den tatsächlichen Erträgen der Gesellschaft beteiligt werde. Die Möglichkeit, dass diese Erträge dann aufgrund der vorangegangenen Beherrschungssituation und dem damit verbundenen Risiko einer Auszehrung des Unternehmens geringer als der vorher gewährte Ausgleich ausfallen können, nehme der Aktionär hin, wenn er zum Zeitpunkt des Unternehmensvertrags den Ausgleich wählt und nicht gegen Abfindung aus der Gesellschaft ausscheidet. Andererseits könne der (außenstehende) Minderheitsaktionär aber aus der Entscheidung, in der Gesellschaft zu bleiben, auch einen über die Ausgleichszahlung hinausgehenden Nutzen ziehen, wenn sich die abhängige Gesellschaft nach Abschluss des Unternehmensvertrags positiv entwickelt und die Dividende nach einer Beendigung des Unternehmensvertrags deshalb höher als der Ausgleich ausfällt. Diese Chance werde ihm genommen, wenn er während des Bestehens des Unternehmensvertrags nach § 327a, § 327e Abs. 3 AktG aus der Gesellschaft ausgeschlossen wird. Sie könne deshalb bei der Bewertung der Barabfindung i.S.d. § 327b AktG nicht außer Betracht bleiben.
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