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Öffentliche Übernahmen in der Covid-19-Pandemie

22.04.2020

Die negativen Auswirkungen der durch das Coronavirus weltweit ausgelösten Pandemie ("Covid-19-Pandemie") hat zu historischen Kursstürzen an den deutschen Aktienmärkten geführt. Lag das Tageshoch des DAX am 17. Februar 2020 noch bei 13.795,20 Punkten, betrug das Tagestief rund einen Monat später am 16. März 2020 nur noch 8.255,65 Punkte. Damit fiel der DAX um 40 %, was prozentual der durch die Subprime-Krise im Jahr 2008 ausgelösten Negativentwicklung entspricht. Inwieweit dieser Kursrückgang die verringerten Wachstumsperspektiven der deutschen Unternehmen angemessen widerspiegelt oder die Märkte überreagieren, wird sich erst in den kommenden Monaten zeigen. Einige Unternehmen dürften allerdings gemessen an ihrem „wahren Wert“ derzeit am Kapitalmarkt unterbewertet sein. Dabei ist das Marktgeschehen im Moment geprägt von hoher Volatilität und Bewertungsunsicherheit.

Für den Markt für öffentliche Übernahmen hat diese Entwicklung unterschiedliche Auswirkungen. Potentielle Bieter könnten das niedrige Kursniveau und den bei vielen Unternehmen entstandenen Finanzierungs- und Reorganisationsbedarf als attraktive Gelegenheit für einen Einstieg nutzen (hierzu unter I.). Gleichzeitig sind börsennotierte Unternehmen durch die gesunkenen Kurse angreifbarer geworden. Sie müssen sich daher mit einer möglichen Übernahme oder zumindest dem Einstieg eines neuen Investors auseinandersetzen (hierzu unter II.). Auch die Politik hat auf die drohende Übernahme von Unternehmen aus Schlüsselbranchen reagiert und Maßnahmen zur Verschärfung der Kontrolle ausländischer Direktinvestitionen getroffen (hierzu unter III.).

I. Chancen und Risiken der Krise aus Bieterperspektive

Marktteilnehmer, die eine öffentliche Übernahme in Erwägung ziehen, sollten bei der Analyse der Chancen und Risiken, die sich als Folge der Covid-19-Pandemie ergeben, die folgenden rechtlichen Gesichtspunkte besonders berücksichtigen.

1. Planung und Strukturierung

  • Stakebuilding und Angebotspreis: Der klassische Weg des Beteiligungsaufbaus im Vorfeld einer öffentlichen Übernahme erfolgt durch den börslichen oder außerbörslichen Erwerb von bestehenden Aktien der Zielgesellschaft.

    Dabei sind die Meldeschwellen für Stimmrechtsmitteilungen (§§ 33 ff. WpHG) zu beachten, die bei 3% der Stimmrechte und im Falle von (Finanz-) Instrumenten bei 5% beginnen. Auch wenn Aktien mit Instrumenten kombiniert werden, ist der Beteiligungsaufbau in Summe nur bis 4,99% meldefrei möglich. Umgehungskonstruktionen sind schwierig, jedenfalls aber riskant, auch wenn der Einstieg von Geely bei Daimler im Jahr 2018 erst bei 9,69% gemeldet wurde. Die BaFin hat Geely im Nachhinein zwar nicht sanktioniert, aber ihre FAQ angepasst und darin zum Ausdruck gebracht, dass sie künftig eine Absprache zwischen der begleitenden Bank und dem Investor annehmen wird, mit der Folge, dass ein meldepflichtiges Instrument vorliegt.

    Das Stakebuilding kann Auswirkungen auf den übernahmerechtlichen Mindestpreis haben. Der höchste innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten vor der Veröffentlichung der Angebotsunterlage gezahlte Preis bildet eine Untergrenze bei der Bestimmung des Mindestpreises für ein Übernahme- oder Pflichtangebot.

    Die derzeit bestehenden Bewertungsunsicherheiten zeigen sich bei derartigen Vorerwerben deutlich: Wenn der Aktienkurs der Zielgesellschaft in der Zukunft nicht weiter fällt, kann sich ein Bieter ein niedriges Mindestpreisniveau sichern (sofern nicht der zweite Parameter, der volumengewichtete Durchschnittskurs, einen höheren Mindestpreis ergibt, siehe hierzu unter „Durchschnittskurs und Prämienhöhe“). Kommt es in der Zukunft jedoch zu einem weiteren Kursverfall, ist der Bieter jedenfalls für einen Zeitraum, bis der Vorerwerb nicht mehr in die Sechsmonatsfrist fällt, an den so festgelegten Mindestpreis gebunden.    
  • Durchschnittskurs und Prämienhöhe: Neben etwaigen Vorerwerbspreisen ist der sog. Drei-Monats-Durchschnittskurs der Aktie der Zielgesellschaft vor der Ankündigung des Übernahmeangebots als Mindestpreis zu berücksichtigen. Bei der Planung eines Übernahmeangebots ist daher die Entwicklung des Börsenkurses der Zielgesellschaft zu analysieren. Wenn sich das derzeitig niedrige Kursniveau fortsetzt, wären erste Übernahmeangebote bereits Anfang bzw. Mitte Juni mit dem im Vergleich zum Kursniveau von Januar und Februar 2020 deutlich reduzierten Drei-Monats-Durchschnittskurs möglich. Denn zu diesem Zeitpunkt sind die höheren Börsenkurse vor dem Kurssturz durch die Covid-19-Pandemie erstmalig nicht mehr im Drei-Monats-Durchschnittskurs der potentiellen Zielgesellschaften berücksichtigt. Die Drei-Monats-Durchschnittskurse potentieller Zielgesellschaften nähern sich damit derzeit den gegenwärtig niedrigen Börsenkursen immer weiter an.

    Eine besondere Herausforderung bei der Festlegung des Angebotspreises ist die Entscheidung über die Prämie auf den Drei-Monats-Durchschnittskurs, die zum Erreichen der gewünschten Beteiligungshöhe notwendig ist. Dies hängt unter anderem von der künftigen Markterwartung ab, die erheblich von der Markterwartung vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie abweichen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass viele Aktionäre der Zielgesellschaft zu einem gegenüber dem derzeitigen Kursniveau hohen Preis eingestiegen sein dürften. Der hohe Einstandspreis könnte dazu führen, dass auf die gesunkenen Börsenkurse prozentual höhere Prämien gezahlt werden müssen, um ein Angebot für diese Aktionäre attraktiv erscheinen zu lassen. Bei einer Erholung der Aktienkurse ist zudem zu beachten, dass ein Übernahmeangebot regelmäßig nur dann erfolgreich sein wird, wenn der Angebotspreis über dem Börsenkurs bei Ankündigung des Angebots liegt. Eine etwaige Erholung des Aktienkurses der Zielgesellschaft wird eine potentielle Übernahme daher in aller Regel verteuern.    
  • Bedingungen des Angebots: Besonderes Augenmerk sollte ein Bieter in der aktuellen Situation ferner auf die Bedingungen des Angebots richten. Bei freiwilligen öffentlichen Übernahmeangeboten (im Unterschied zu Pflicht- und Delistingangeboten) kann der Bieter darüber entscheiden, ob er sein Angebot vom Eintritt bestimmter Bedingungen abhängig macht, solange es sich nicht um Bedingungen handelt, deren Eintritt der Bieter selbst beeinflussen kann. Mit einer MAC-Klausel kann der Bieter verhindern, dass das Übernahmeangebot bei Eintritt oder Bekanntwerden wesentlicher nachteiliger Umstände im Hinblick auf den Markt oder die Zielgesellschaft vollzogen werden muss. Nach der Verwaltungspraxis der BaFin müssen Bedingungen im Grundsatz bis zum Ende der Annahmefrist eingetreten sein, deren Länge der Bieter auf mindestens vier und maximal zehn Wochen festlegen kann. Insbesondere bei längeren Annahmefristen dürfte die Aufnahme einer MAC-Klausel aufgrund der anhaltenden Unsicherheiten im Hinblick auf die Entwicklung der wirtschaftlichen Lage durch den Coronavirus daher geboten sein.

    Im Zusammenhang mit den möglichen Auswirkungen des Coronavirus auf die Zielgesellschaft kommen die folgenden MAC-Klauseln in Betracht:

    Keine wesentliche Verschlechterung des Marktumfeldes (sog. Market-MAC), wie z.B. keine Handelsaussetzung an der Frankfurter Wertpapierbörse oder keine Unterschreitung einer bestimmten Punktzahl eines Aktienindex, z.B. des DAX oder eines anderen geeigneten Index.

    Keine wesentliche Verschlechterung der Zielgesellschaft (sog. Business oder Company MAC), wie z.B. der Veröffentlichung einer Insiderinformation durch die Zielgesellschaft oder der Eintritt von Umständen, die von der Zielgesellschaft als Insiderinformation hätten veröffentlicht werden müssen bzw. hinsichtlich derer die Zielgesellschaft entschieden hat, die Veröffentlichung aufzuschieben.

    Bei der Ausgestaltung der MAC-Klauseln ist insbesondere auf deren Bestimmtheit zu achten, z.B. bei der Definition der relevanten Bezugsgröße im Rahmen einer Business MAC (etwa des EBITDA). Die BaFin verlangt zudem, dass bei Beurteilung der vorstehenden Business MAC ein unabhängiger Gutachter eingesetzt wird, der den Eintritt der wesentlichen Verschlechterung gutachterlich bestätigt. Vor diesem Hintergrund weisen insbesondere die Business MAC-Klauseln regelmäßig eine besondere Komplexität auf.
       
  • Beteiligungserwerb im Rahmen von Kapitalerhöhungen: Krisengeschwächte Unternehmen haben bereits jetzt bzw. werden künftig einen erhöhten Bedarf an frischem Kapital haben. Sofern eine Fremdkapitalaufnahme nicht möglich oder erwünscht ist, bieten sich Chancen für Investoren, bei einer potentiellen Zielgesellschaft im Wege einer Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital einzusteigen. Dabei können neue Aktien im Umfang von bis zu 10 % des Grundkapitals der Zielgesellschaft unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre mit einem Abschlag von bis zu 5 % auf den Aktienkurs der Zielgesellschaft gezeichnet werden. Auch Kapitalerhöhungen mit Bezugsrecht können der Ausgangspunkt eines Investoreneinstiegs sein, wenn der Investor ein Backstop-Commitment abgibt, d.h. die Verpflichtung übernimmt, nicht bezogene Aktien bis zu einer Höchstschwelle zu erwerben.

    Derartige Aktienerwerbe können mit einem öffentlichen Erwerbs- oder Übernahmeangebot nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz ("WpÜG") kombiniert werden. Zur Vermeidung eines mindestpreiserhöhenden Kursanstiegs sollte es idealerweise zeitgleich mit der Kapitalerhöhung angekündigt werden. Die im Zuge einer Kapitalerhöhung erworbene Einstiegsbeteiligung kann unter anderem für das Erreichen einer möglichen Mindestannahmeschwelle nützlich sein, von dem der Vollzug eines Übernahmeangebots abhängig gemacht werden kann. Bei einer Kombination von Kapitalerhöhung und Übernahmeangebot ist jedoch zu beachten, dass der Bezugspreis für die neuen Aktien für den Mindestpreis des Übernahmeangebots relevant ist (hierzu oben unter „Durchschnittskurs und Prämienhöhe“).    
  • Due Diligence und Leak-Strategie: Nahezu sämtliche öffentliche Übernahmen in Deutschland werden mit Unterstützung oder jedenfalls ohne aktiven Widerstand der Verwaltungsorgane der Zielgesellschaft („freundlich“) durchgeführt (siehe hierzu auch unten „II. Übernahmeprävention und Defense in der Krise – 2. Vorbereitungsmaßnahmen“). Die Durchführung einer Due Diligence ist in vielen Fällen jedenfalls nach Zugeständnissen bei der Verhandlung eines sog. Business Combination Agreements auch im Interesse der Zielgesellschaft und damit grundsätzlich möglich. Im Rahmen von Transaktionen außerhalb des Kapitalmarkts (Private M&A) ist derzeit insoweit eine Fokussierung auf die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Zielgesellschaft, insbesondere ihre Finanzlage und etwaige operative Veränderungen, zu beobachten. Dieser Trend birgt das Risiko einer zeitaufwendigeren Due Diligence.

    Diese Entwicklung wird vermutlich auch öffentliche Übernahmen Transaktionen beeinflussen, auch wenn diese typischerweise mit einer knapperen Due Diligence auskommen. Bei einem längeren Due Diligence Prozess ist eine sorgfältige Leak-Strategie besonders relevant, die mögliche Szenarien und Prozesse im Falle des Aufkommens eines Marktgerüchts oder eines Informationslecks vor der Ankündigung des Übernahmeangebots vorab regelt. Die Inhalte einer Leak-Strategie, insbesondere der Entwurf der entsprechenden Pflicht- und freiwilligen Meldungen, sind zwischen dem potentiellen Investor und der Zielgesellschaft im Einzelnen abzustimmen.    
  • Sonderfall "Kontrollerlangung ohne Pflichtangebot": Für Investoren, die bereits ein Aktienpaket unterhalb der Kontrollschwelle von 30 % an einer börsennotierten Gesellschaft halten, kann sich in bestimmtem Fällen die Möglichkeit einer Übernahme ohne eine Pflicht zur Abgabe eines Pflichtangebots ergeben. Dies setzt eine Befreiung von der Angebotspflicht durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) voraus. Bei der Übernahme einer börsennotierten Gesellschaft in der Krise kann die BaFin eine sog. Sanierungsbefreiung erteilen, sofern die Sanierungsbedürftigkeit und -fähigkeit der Zielgesellschaft nachgewiesen werden kann. Zudem muss der Antragsteller einen Sanierungsbeitrag leisten, der etwa in der Zeichnung einer Kapitalerhöhung und/oder einer Kreditgewährung liegen kann.    

2. Durchführung

  • Abstimmung mit Stakeholdern: Um den Kreis der Insider im Vorfeld einer Transaktion möglichst klein zu halten, wird ein Bieter vor der Ankündigung der Übernahmeabsicht (sog. 10er-Meldung) in der Regel nur mit einem kleinen Kreis von Personen sprechen (typischerweise Vorstandsmitglieder und einzelne Aufsichtsratsmitglieder sowie Ankeraktionäre der Zielgesellschaft). Ansonsten wird der Bieter versuchen, dass andere Stakeholder, die von einem Übernahmeangebot bzw. Kontrollwechsel bei der Zielgesellschaft betroffen sind, erst nach Ankündigung des Angebots angesprochen werden.

    Bei krisengeschwächten Zielgesellschaften ist jedoch erfahrungsgemäß ein enger Austausch mit Kreditgebern erforderlich. Ob eine Kontaktaufnahme mit den Kreditgebern vor der Ankündigung der Übernahmeabsicht sinnvoll ist, wird man im Einzelfall beurteilen müssen. Bestehende Kreditverträge können jedenfalls eine Change-of-control-Klausel beinhalten. Welches Risiko hieraus resultiert und welcher Finanzbedarf bei der Zielgesellschaft nach der Übernahme besteht, sollte genau analysiert werden. Einerseits sind die Marktzinsen nach wie vor sehr niedrig. Andererseits dürften jedenfalls in den von der Krise besonders getroffenen Branchen höhere Risikoprämien gefordert werden, was eine Refinanzierung verteuern kann. Ferner könnten Banken ihre weitere Finanzierungsbereitschaft von einem Finanzierungsbeitrag des künftigen Großaktionärs oder allgemein einer höheren Eigenkapitalquote abhängig machen.    
  • "Einkauf" aktivistischer Aktionäre: Auch wenn Hedge Fonds, die als Long-Investoren am Kapitalmarkt engagiert sind, durch die gesunkenen Börsenkurse ebenfalls Verluste erlitten haben, dürften aktivistische Aktionäre und insbesondere Hedge Fonds weiter eine wesentliche Rolle bei öffentlichen Übernahmen spielen. Die grundsätzlichen Möglichkeiten der M&A-Arbitrage werden durch die Covid-19-Pandemie nicht verändert. Eine gängige Strategie dieser Investoren besteht darin, sich in ein Übernahmeangebot "einzukaufen", um den Bieter zu einer Erhöhung des Angebotspreises zu bewegen oder jedenfalls in der anschließenden Strukturmaßnahme zu profitieren. Regelmäßig wird die Erhöhung des Angebotspreises mit Verweis auf eine Unterbewertung der Zielgesellschaft durch den Angebotspreis gefordert. Diese Behauptung fällt bei den derzeitigen Marktverhältnissen teilweise vermutlich leichter als zuvor. Dieses Vorgehen kann besonders kritisch werden, wenn eine hohe Annahmeschwelle angestrebt wird. Deshalb ist die Wahl der Annahmeschwelle und die Kommunikationsstrategie des Bieters unverändert von zentraler Bedeutung.    

3. Strukturmaßnahmen

Im Anschluss an ein Übernahmeangebot können sich attraktive Möglichkeiten für nachträgliche Strukturmaßnahmen ergeben, wie z.B. der Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags oder eines Ausschlusses von Minderheitsaktionären (Squeeze-Out). Im Rahmen dieser Strukturmaßnahmen ist den außenstehenden Aktionären der Zielgesellschaft eine Barabfindung zu gewähren, deren Höhe sich – anders als der Mindestpreis bei Übernahmeangeboten – nach dem fundamentalen Unternehmenswert der Zielgesellschaft (in der Regel ermittelt nach den Grundsätzen des IDW S 1) bemisst. Das derzeit niedrige Kursniveau spielt im Rahmen der Bestimmung der Barabfindung insoweit eine Rolle, als dass der Drei-Monats-Durchschnittskurs der Aktie der Zielgesellschaft vor Bekanntgabe der Strukturmaßnahme die Untergrenze der Barabfindung bildet.

II. Übernahmeprävention und Defense in der Krise

Die durch die Krise gestiegene Angreifbarkeit börsennotierter Unternehmen zwingt dazu, sich neben den dringend anstehenden Themen wie Liquiditätssicherung und operative Maßnahmen in den kommenden Monaten intensiver als sonst mit potentiellen Veränderungen in ihrem Aktionärskreis zu befassen. Dies gilt insbesondere bei Unternehmen mit großem Streubesitz und ohne Ankeraktionär(e).

Zwei Szenarien können kritisch werden:

1. Der Einstieg eines Hedge-Fonds oder aktivistischen Investors, der z.B. versucht, das Unternehmen unter Druck zu setzen, mittel- oder langfristig attraktive Unternehmensteile zu verkaufen, um kurzfristige Erlöse zu erzielen.

2. Ein Übernahmeangebot durch einen Finanzinvestor oder Strategen: Zwar dürften sich die Finanzierungsbedingungen für eine Übernahme durch die Covid-19-Pandemie erschwert haben. Außerdem dürften Strategen derzeit stark mit sich selbst beschäftigt sein. Allerdings verfügen insbesondere Finanzinvestoren nach wie vor über erhebliche Mittel, so dass auch ein höherer Eigenkapitalanteil in der Finanzierung für sie darstellbar sein kann.

1. Vorbereitungsmaßnahmen

Vor diesem Hintergrund gewinnen die klassischen Maßnahmen der Übernahme- und Activism-Vorbereitung erheblich an Bedeutung. Ziel einer effektiven Vorbereitung sollte es sein, möglichst frühzeitig über den bevorstehenden Einstieg eines Hedge-Fonds oder die Übernahmeabsicht eines potentiellen Bieters informiert zu werden, um eine angemessene Reaktion vorbereiten zu können und nicht unter Zeitdruck in der konkreten Situation reagieren zu müssen. Gleichzeitig ist es von zentraler Bedeutung, die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf das eigene Geschäftsmodell und den eigenen Unternehmenswert sorgfältig zu analysieren, um einschätzen zu können, inwieweit der Rückgang der Marktkapitalisierung im Zuge der Covid-19-Pandemie fundamental begründet ist.

Zu den Vorbereitungsmaßnahmen zählen:

  • Beobachtung der Veränderungen im Aktionärskreis (etwa über Stimmrechtsmitteilungen), des Handelsvolumens und der Leerverkäufe
  • Enger Kontakt mit institutionellen Investoren und anderen wesentlichen Aktionären, Analysten und Medien
  • Beobachtung der Berichterstattung in den Medien und der Äußerungen von Hedgefonds, die an der Gesellschaft beteiligt sind oder aufgrund ihrer Äußerungen Interesse an der Gesellschaft haben könnten
  • Beobachtung der Empfehlungen von institutionellen Investoren und Stimmrechtsberatern im Hinblick auf Governance-Themen (etwa Vergütung und Dividendenpolitik sowie Organbesetzung in der Krise), um etwaige Kritikpunkte frühzeitig zu erkennen
  • Kritische Selbsteinschätzung und Überprüfung im Hinblick auf potentielle Angriffspunkte im Unternehmen und im Konzern, etwa zu Strategie, Bilanz, Steuern, Corporate Governance oder zu anderen Effekten, die durch die Covid-19-Pandemie ausgelöst oder verstärkt werden
  • Überprüfung der Verträge (insbesondere im Finanzierungsbereich), die eine Change of Control-Klausel einhalten, um die Auswirkungen einer erfolgreichen Übernahme auf das Unternehmen und den Konzern abschätzen zu können
  • Klare Kommunikation gegenüber dem Markt im Hinblick auf die mittel- bis langfristige Strategie, um kurzfristig orientierter Kritik zu begegnen
  • Einrichtung eines Defense Teams und Abstimmung entsprechender Prozesse
  • Enge Abstimmung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, weil Ansprachen nicht zwingend an den Vorstandsvorsitzenden gerichtet werden
  • Gegebenenfalls Suche nach einem Ankeraktionär, der bereit ist, die Gesellschaft längerfristig in einem Transformationsprozess zu unterstützen

Bei der Suche nach einem Ankerinvestor, dem z.B. eine Beteiligung von 10% aus einem genehmigten Kapital mit Bezugsrechtsausschluss oder aus eigenen Aktien angeboten wird, sind die aktienrechtlichen Vorgaben zu beachten:

  • Jedenfalls bei einer Beteiligung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds ist der Bezugsrechtsausschluss kraft gesetzlicher Anordnung in jedem Fall zulässig und angemessen.
  • Sofern ein anderer Investor (etwa ein Staatsfonds, Pensionsfonds oder anderer institutioneller Investor) an der Gesellschaft beteiligt werden soll, gelten für die Prüfung des Bezugsrechtsausschlusses die allgemeinen Kriterien. Entgegen kritischer Stimmen in der aktienrechtlichen Literatur dürfte es dabei zulässig sein, dass der Vorstand auf diese Weise Einfluss auf die Zusammensetzung des Aktionärskreises nimmt, sofern dies im Unternehmensinteresse liegt (etwa zur Deckung des Kapitalbedarfs, wenn kein weiteres Fremdkapital aufgenommen werden soll oder kann) oder z.B. der Stabilisierung des Unternehmens dient.
  • Angesichts gestiegener Volatilität und Unsicherheit im Hinblick auf die Bewertung von börsennotierten Gesellschaften dürfte der Verwaltung mehr Flexibilität beim Pricing der Aktienausgabe zuzugestehen sein, als dies in einer „ruhigeren“ Marktphase der Fall wäre.

Zu beachten ist auch, dass erfolgreiche Übernahmen in Deutschland in der Regel nicht feindlich verlaufen. Zwar gibt es immer wieder ablehnende gemeinsame Stellungnahmen von Zielgesellschaften zu einem Übernahmeangebot. Auch die Zahl der neutralen Stellungnahmen, in denen also weder eine Annahme noch eine Ablehnung des Angebots empfohlen wird, hat in den letzten Jahren zugenommen (vgl. Noerr Public M&A Reports 01/2018 und 01/2020). Allerdings wird ein Bieter in der Regel versuchen, die Zielgesellschaft davon zu überzeugen, das Angebot zu unterstützen. Dies gilt in besonderem Maße in der aktuellen Situation:

  • Aus Sicht des Bieters besteht die Gefahr, dass die Öffentlichkeit und die Belegschaft eine Übernahme kritisch sehen, wenn der Eindruck entsteht, der Bieter nutze die Covid-19-Pandemie und die Schwächesituation der Zielgesellschaft zu seinem Vorteil aus.
  • Angesichts der Bewertungsunsicherheiten im derzeitigen Markt wird ein Bieter vermutlich eine Due Diligence Prüfung bei der Zielgesellschaft vornehmen wollen. Er wird versuchen wollen, sich ein eigenes Bild von der Bewertung und den Risiken im Geschäft der Zielgesellschaft zu verschaffen, um zu prüfen, ob die aktuellen Abschläge auf den Börsenkurs gerechtfertigt sind.

Aus diesen Gründen dürfte ein Übernahmeinteressent im Vorfeld vermutlich das Gespräch mit der Zielgesellschaft suchen und sich ihre Unterstützung in einem Business Combination Agreement sichern wollen. Für die Zielgesellschaft bestehen damit zwei Ansatzpunkte, um in den Prozess steuernd einzugreifen: Zunächst muss sie entscheiden, ob die Zulassung eines Übernahmeinteressenten zu einer Due Diligence Prüfung im Unternehmensinteresse liegt. Wenn dies der Fall ist und die Prüfung und die weiteren Gespräche positiv verlaufen, bietet sich die Möglichkeit, die für die Zielgesellschaft wesentlichen Punkte im Vorfeld in einem Business Combination Agreement festzulegen. Dabei sollte insbesondere die Finanzierungssituation nach einer erfolgreichen Übernahme in den Blick genommen werden, etwa durch zusätzliche Verpflichtungserklärungen des Bieters.

2. In der Übernahmesituation

Kommt es zur Ankündigung der Übernahmeabsicht durch einen Bieter nach § 10 WpÜG (sog. 10er-Meldung), sind die übernahmerechtlichen Regelungen zur eingeschränkten Neutralitätspflicht zu beachten. Danach darf der Vorstand der Zielgesellschaft im Grundsatz keine Handlungen vornehmen, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden könnte.

Wichtige Ausnahmen bestehen

  • für Handlungen, die von einem ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter auch außerhalb einer Übernahmesituation vorgenommen worden wären,
  • für die Suche nach einem konkurrierenden Angebot und
  • für Handlungen, denen der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft zugestimmt hat.

Damit steht dem Vorstand der Zielgesellschaft auch nach Ankündigung der Übernahmeabsicht in der Regel ein gewisser Handlungsspielraum zur Verfügung. Die reine Abwehr einer Übernahme ist an sich zwar keine zulässige Unternehmensstrategie. Allerdings können nach zutreffender Auffassung z.B. sogar Kapitalmaßnahmen zulässig sein, die eine Übernahme faktisch erschweren, wenn sie auch außerhalb der Übernahmesituation erfolgt wären und zur Deckung des Kapitalbedarfs des Unternehmens in der konkreten Situation erforderlich sind.

Neben rechtlichen Abwehrmaßnahmen entscheidend ist die Kommunikation der Zielgesellschaft, die nicht nur an die Aktionäre, sondern an alle Stakeholder der Gesellschaft gerichtet sein sollte. Dazu gehört auch die Stellungnahme von Vorstand und Aufsichtsrat zu dem Übernahmeangebot, die auch negativ ausfallen kann (vgl. bereits oben). Angesichts restriktiver Tendenzen im Außenwirtschaftsrecht (dazu sogleich unter IV.) dürften jedenfalls Bieter, die nicht aus dem europäischen Ausland stammen, auch in der öffentlichen Wahrnehmung hier in einem gewissen Nachteil sein.

III. Staatliche Maßnahmen zum Schutz vor unerwünschten Übernahmen

Eine weitere Abwehrmaßnahme kann sich ergeben, wenn sich abzeichnet, dass die Übernahme aus investitionskontrollrechtlicher Sicht Zweifel im Hinblick auf eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung auslösen kann und letztlich zu befürchten ist, dass das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie („BMWi“) die Übernahme gem. §§ 55 ff. AWV nicht oder nur unter Auflagen, ggf. in Form eines öffentlich-rechtlichen Vertrags, freigeben wird. Dies gilt insbesondere für meldepflichtige Investitionen im Bereich der kritischen Infrastrukturen, des Rüstungs- und des IT-Sicherheitssektors. Aber auch darüber hinaus können Investitionen aufgrund der Sensitivität der Tätigkeit der Zielgesellschaft oder der mit der Übernahme verbundenen Absicht des Investors aus Gründen der nationalen Sicherheit als kritisch eingestuft werden.

Tendenz zur Verschärfung der staatlichen Eingriffsmöglichkeiten bei ausländischen Investitionen: Staatliche Maßnahmen zur Verhinderung von unerwünschten Übernahmen sind angesichts der Covid-19-Pandemie noch sehr viel stärker in den Fokus von Gesetzgebung und Verwaltung gerückt. Die EU-Kommission hat etwa die Mitgliedsstaaten eindringlich aufgefordert, die bestehenden Investitionsregime zu überprüfen, ggf. anzupassen und in der Umsetzung alle verfügbaren Möglichkeiten auszuschöpfen, um Beteiligungen ausländischer Investoren an europäischen Unternehmen vor allem in systemrelevanten Bereichen genau zu prüfen. Auf der Ebene der Gesetzgebung nutzt Deutschland derzeit hierfür die ohnehin anstehenden Reformen des AWG und der AWV zur Umsetzung der Industriestrategie und der Vorgaben der EU Screening Verordnung, die im Jahr 2019 angenommen wurde und bis Oktober diesen Jahres umzusetzen ist. Spätestens seit dem Fall CureVac und der angeblichen Übernahmeabsicht der USA dieses führenden Impfstoffherstellers ist das BMWi wachgerüttelt und prüft sehr genau mit zunehmend restriktiver Tendenz mitgeteilte und nicht mitgeteilte ausländische Investitionen.

Daneben bietet auch das Wirtschaftsstablisierungsfondsgesetz („WStFG“) Möglichkeiten, Liquiditätsengpässe zu verhindern und die Eigenkapitalbasis der inländischen Unternehmen zu stärken, die infolge der Covid-19-Pandemie in Schieflage geraten sind. Dies kann auch den Erwerb von Anteilen an Unternehmen und die Übernahme sonstiger Bestandteile des Eigenkapitals dieser Unternehmen umfassen, sofern dies für die Stabilisierung des Unternehmens erforderlich ist – und damit letztlich auch ausländische Übernahmen verhindern. Nach unserer Information ist die Einführung von sog. „golden shares“ auf Bundesebene jedoch nicht geplant.

Bereits bisher strenge Investitionskontrolle: Nach unserer Einschätzung ist eine weitere Verschärfung nicht erforderlich, um ausländische Investitionen in sensitiven Bereichen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu untersagen. Bereits seit über 10 Jahren verfügt Deutschland über eines der strengeren Investitionskontrollregime weltweit, die es dem BMWi ggf. unter Beteiligung weiterer Ministerien ermöglicht, eine Transaktion – unabhängig von dem Sektor, in dem die Zielgesellschaft agiert – aus Gründen der öffentlichen Sicherheit zu beschränken oder sogar zu untersagen. Diese Regeln greifen, wenn ein Investor von außerhalb der EU oder EFTA 25% oder mehr der Stimmrechte an dem inländischen Unternehmen erwirbt.

Besonders strenge Regeln für sensitive Bereiche: Ist das Unternehmen im Bereich der kritischen Infrastrukturen in den Sektoren wie Energie, Wasser, Ernährung, IT- und Telekommunikation, Gesundheit, Finanz- und Versicherungswesen, bzw. Transport und Verkehr und dort über näher definierten Schwellenwerten tätig, so ist derzeit schon der Erwerb von 10% oder mehr der Stimmrechte für das Eingreifen der Kontrollrechte ausreichend. Ferner besteht eine Meldepflicht. Die Schwellenwerte sind in der BSI-KritisV näher definiert und sehen z.B. im Energiebereich eine Erzeugung von 420 MW oder im Lebensmittelbereich eine jährliche Produktion von oder einen Umsatz mit 434 500t Lebensmitteln vor, ähnliche Schwellenwerte sind für die anderen genannten Sektoren ebenfalls definiert. Entwickelt oder produziert die Zielgesellschaft bestimmte Rüstungs- oder IT-Sicherheitsprodukte (sog. „sektorspezifische Prüfung“), so ist ebenfalls der Anteilserwerb von 10% oder mehr ausreichend, mit der Besonderheit, dass hier sogar Investitionen aus dem EU-Ausland meldepflichtig sind und untersagt oder beschränkt werden können.

Jenseits der meldepflichtigen Erwerbe hat der Investor die Möglichkeit, beim BMWi eine Unbedenklichkeitsbescheinigung zu beantragen. Das BMWi hat aber auch die Möglichkeit, von sich aus eine Prüfung zu eröffnen. Grundsätzlich ist das Verfahren zweistufig: Zunächst überprüft das BMWi zumeist auf Antrag oder Meldung des Investors, ob es ein formales Prüfverfahren einleiten möchte, gegebenenfalls schließt sich das formale Prüfverfahren an. Die AWV sieht strenge Fristen vor: In der Regel muss das BMWi seine Vorprüfung binnen zwei Monaten abschließen, anderenfalls wird die Freigabe des Erwerbs fingiert. Das formale Prüfverfahren muss binnen vier Monaten ab Einreichung vollständiger Unterlagen abgeschlossen sein, anderenfalls dürfen Beschränkungen und Untersagungen nicht mehr erfolgen. Im Bereich der sektorspezifischen Prüfung gelten leicht modifizierte Fristen. In der Praxis dauern komplexe Investitionsprüfverfahren auch länger: Das BMWi stellt sich auf den Standpunkt, dass es Unterlagen während des Verfahrens jederzeit nachfordern und damit den Fristbeginn nach hinten verschieben kann. Werden Verhandlungen über einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, der ggf. Auflagen regelt, begonnen, so wird die Frist ohnehin unterbrochen. Gerade in der jüngeren Vergangenheit hat es Untersagungen gegeben, teilweise wurden Erwerbe auch auf der Basis von Beschränkungen regelnden öffentlich-rechtlichen Verträgen freigegeben, teilweise haben Investoren von ihren geplanten Erwerben auch Abstand genommen.

Konkrete Vorschläge zur Verschärfung der Investitionskontrollen: Als Reaktion auf die Covid-19-Pandemie liegen in Deutschland konkret Vorschläge für die Einführung von weiteren Meldepflichten im Gesundheitsbereich, für die Absenkung des Gefährdungsmaßstabes, der für Untersagungen und Beschränkungen vorliegen muss, sowie für ein Vollzugsverbot für meldepflichtige Transaktionen vor. Diskutiert werden daneben noch weitere Maßnahmen wie etwa eine weitere Absenkung der Schwellenwerte oder eine Ausweitung der bestehenden Meldepflichten, die aber noch nicht das Stadium eines Gesetzes- oder Verordnungsentwurfes erreicht haben und deren Einführung angesichts des ohnehin rigiden Regimes nicht zwingend sind. Investoren aus Nicht-EU-Staaten sollten die Regulierungstendenzen aufmerksam beobachten. Die Bedeutung einer sorgfältigen Analyse von geplanten Transaktionen im Hinblick auf die Auswirkungen der Investitionskontrolle nimmt deutlich zu.