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Vertragsrecht im Fokus: Ein Blick auf aktuelle Urteile und Gesetzes­reformen

04.03.2024

Diese Übersicht umfasst die Rechtsprechung seit Mitte 2022 und bietet einen Ausblick auf relevante Gesetzesänderungen, die sowohl für nationale als auch internationale Verträge von praktischer Bedeutung sind.

Insolvenzabhängige Lösungsklauseln

Der BGH (Urteil vom 27.10.2022 – IX ZR 213/21) hat seine Rechtsprechung zu insolvenzabhängigen Lösungsklauseln klargestellt. Insolvenzabhängige Lösungsklauseln sind Klauseln, die es einer Vertragspartei ermöglichen, sich ausschließlich wegen der Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz der anderen Vertragspartei von einem Vertrag zu lösen. Hintergrund des Streits um die Wirksamkeit solcher Klauseln ist das Spannungsfeld zwischen der Vertragsfreiheit einerseits und dem Schutz der Insolvenzmasse, der §§ 103 ff. InsO und insbesondere des Wahlrechts des Insolvenzverwalters zur Fortführung von Verträgen anderseits.

Der Entscheidung des BGH lag ein Fall zugrunde, in dem ein Beförderungsvertrag nach Bestellung des vor- läufigen Insolvenzverwalters unter Berufung auf eine insolvenzabhängige Kündigungsklausel fristlos gekündigt wurde. Die Vorinstanz hatte angenommen, dass die insolvenzabhängige Kündigungsklausel unwirksam sei, da die Klausel keiner gesetzlich vorgesehenen Lösungsmöglichkeit entspreche. Dem hat sich der BGH in seiner Entscheidung nicht angeschlossen, sondern hat klargestellt, dass solche Lösungsklauseln wirksam sein können, die eine insolvenzrechtlich gerechtfertigte Zielsetzung verfolgen.

Der BGH schafft mit seiner Entscheidung Leitplanken: Unwirksam sind danach Lösungsklauseln, die eine Vertragsauflösung aufgrund der Insolvenz als solcher ermöglichen und von den gesetzlichen Lösungsmöglichkeiten abweichen, ohne dass zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses berechtigte Gründe für diese Abweichungen bestanden. Demnach hält der BGH insolvenzabhängige Lösungsklauseln zugunsten des Gläubigers für Zahlungsansprüche regelmäßig für unwirksam, da der Zahlungsempfänger sich ausreichend durch gesetzliche Zurückbehaltungsrechte schützen kann.

Umgekehrt bietet sich damit Gestaltungspotenzial für wirksame Lösungsklauseln zugunsten von Sach- oder Dienstleistungsempfängern. Da der BGH keine pauschale Aussage trifft, wird es hierbei auf den Einzelfall ankommen, insbesondere ob mit dem vereinbarten Kündigungsrecht eine insolvenzrechtlich gerechtfertigte Zielsetzung verfolgt wird oder unter Berücksichtigung der mit der Insolvenz einhergehenden Risiken ohnehin ein wichtiger Grund im Sinne des gesetzlichen Kündigungsrechts (z.B. § 314 BGB oder § 89a HGB) vorliegt. Daher kann es sich ggf. empfehlen, den Hintergrund für die Aufnahme der insolvenzabhängigen Lösungsklausel bereits im Vertragstext abzubilden und die Klausel differenziert auszugestalten.

Einbeziehung einer Gerichtsstandsklausel mittels Hyperlink

Der EuGH (Urteil vom 24.11.2022 – C-358/ 21) befasste sich mit der Frage, ob eine Gerichtsstandsklausel wirksam vereinbart ist, welche in allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) enthalten ist, wenn auf sie nur durch einen im schriftlichen Vertrag eingefügten Hyperlink verwiesen wird. Hauptfrage des Verfahrens war, ob eine solche Klausel, die online abgerufen werden kann, als der Schriftform gleichgestellte dauerhafte Aufzeichnung angesehen werden kann. Die Wahrung dieses Formerfordernisses ist notwendig, um die internationale Zuständigkeit eines Gerichts nach der Brüssel-Ia-Verordnung (bzw. der Parallelregelung im Lugano-Überein- kommen) wirksam vereinbaren zu können.

Der EuGH schreibt mit der Entscheidung seine technikfreundliche Rechtsprechungslinie fort. Für den Online-Vertragsschluss hat er bereits 2015 entschieden, dass es ausreicht, wenn die AGB durch einen Hyperlink abrufbar sind und die Geltung der AGB durch das Anklicken eines dafür vorgesehen Feldes akzeptiert wird. In der aktuellen Entscheidung erweitert der EuGH die Möglichkeit zur Nutzung eines Hyperlinks auch auf schriftlich unterzeichnete Verträge.

Die Nutzung von Hyperlinks zur Einbindung von AGB bietet sowohl Möglichkeiten als auch neue Herausforderungen. So muss der Verwender der AGB die Verfügbarkeit und die bereitgestellte Version dokumentieren. Für den Vertragspartner bedeutet dies ein erhöhtes Maß an Sorgfalt, indem er verlinkte Dokumente beachten und prüfen muss.

Nachträglicher Ausschluss der Anwendbarkeit des UN-Kaufrechts (CISG)

Das OLG München (Hinweisbeschluss vom 12.12.2022 – 7 U 4810/ 21) hat in einem Hinweisbeschluss festgestellt, dass die Anwendbarkeit des UN-Kaufrechts (CISG) nicht nur bei Vertragsschluss, sondern auch nachträglich ausdrücklich oder stillschweigend ausgeschlossen werden kann, sofern ein übereinstimmender Parteiwille hinreichend deutlich ist. Hintergrund des Beschlusses war ein Streit zwischen einer Händlerin aus den Niederlanden und einem Händler mit Sitz in Deutschland über die Wirksamkeit eines Rücktritts von einem Kaufvertrag über Elektrofahrzeuge. Mangels abweichender vertraglicher Abrede wären grundsätzlich die Regelungen des CISG in diesem grenzüberschreitenden Fall anwendbar gewesen. Das OLG München erkannte einen konkludenten Ausschluss des CISG darin, dass die Parteien im Gerichtsverfahren ausschließlich auf der Grundlage des BGB argumentierten.

Das Verfahren zeigt, dass bei Fehlen einer vertraglichen Regelung die Gerichte bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung das CISG als ausgeschlossen unterstellen können. Die Parteien sind daher wohl beraten, entweder bereits bei Vertragsschluss oder spätestens im Falle eines Gerichtsverfahrens über die Chancen und Risiken des CISG nachzudenken.

Verschuldensunabhängige Verkäuferhaftung im B2B-Bereich

Der BGH (Urteil vom 21.6.2023 – VIII ZR 105/22) hat erst jüngst eine Entscheidung zum verschuldensunabhängigen Aufwendungsersatzanspruch des Käufers im Rahmen der Nacherfüllung gefällt. Bei dem Streit ging es um die Erstattung von Aufwendungen für die Vorfertigung und Verbindung von mangelhaften Edelstahlrohren. Gegenstand war damit nicht der Einbau der mangelhaften Sache an sich. Der BGH sprach dem Käufer den begehrten Aufwendungsersatz zu und stellte dabei heraus, dass der Aufwendungsersatz käuferfreundlich auszulegen sei und bereits dann besteht, wenn ein Sachmangel der Kaufsache sich im Rahmen des Vorfertigungsprozesses zeigt und es deshalb nicht mehr zum Abschluss des Einbauvorgangs kommt. Sofern die Kaufsache nicht untrennbar mit einer anderen Sache verbunden wird, steht dem An-spruch auch nicht entgegen, dass durch den Einbauvorgang eine neue Sache hergestellt wird. Eine Differenzierung zwischen B2B- und B2C-Geschäften nimmt der BGH entsprechend dem ausdrücklichen gesetzgeberischen Willen nicht vor.

Das weite Verständnis vom „Einbau“ einer Sache birgt für den Verkäufer, der mit Materialien handelt, aus denen mit großem Aufwand neue Produkte hergestellt werden, ein hohes Risiko, sich einer verschuldens- unabhängigen Haftung auszusetzen. In der Vertragspraxis ist daher sorgfältig zu prüfen, inwiefern vertraglich Ansprüche auf Aufwendungsersatz eingeschränkt werden können und wie innerhalb von (internationalen) Lieferketten Rückgriffs- und Freistellungsmöglichkeiten gesichert werden können.

Ausblick

Auf europäischer und nationaler Ebene gibt es mehrere gesetzgeberische Initiativen, die Einfluss auf die Vertragsgestaltung und auch auf die Streitbeilegung haben werden.

Die Bundesregierung plant, den Justizstandort Deutschland durch die Einführung von Commercial Courts zu stärken (Entwurf über ein Justizstandort-Stärkungsgesetz, BT-Drucks. 20/8649). Die Commercial Courts sollen Wirtschaftszivilsachen ab einem Streitwert von einer Million Euro erstinstanzlich verhandeln können, wenn die Parteien dies vereinbart haben. Die Verhandlungen können auf Englisch oder Deutsch stattfinden. Dieses Vorhaben zielt darauf ab, ein schnelles, effizientes und attraktives Gerichtsverfahren zu schaffen, um den Justiz- und Wirtschaftsstandort Deutschland sowie die Rechtsfortbildung im Zivilrecht zu stärken. Vorteile sollen weiter der Einsatz spezialisierter Richter, geringere Prozesskosten im Vergleich zum herkömmlichen Zivilverfahren durch die Möglichkeit des Überspringens der ersten Instanz sowie der umfassende Schutz von Geschäftsgeheimnissen sein.

Daneben sieht ein Gesetzesentwurf des Bundesjustizministeriums vor, die Möglichkeit von Videoverhandlungen in der Zivilgerichtsbarkeit flexibler und zugänglicher zu gestalten. Ein Gericht soll künftig eine digitale Verhandlung nicht nur gestatten, sondern von Amts wegen anordnen können (z. B. um das Verfahren zu beschleunigen). Zusätzlich sollen die Anforderungen an die Begründung einer Ablehnung eines Antrags auf Videoverhandlung erhöht werden. Nach der Zustimmung des Bundestags hat der Bundesrat den Vermittlungsausschuss angerufen, sodass noch unklar ist, ob und ggfs. wann das Gesetz in Kraft tritt (Entwurf über ein Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten, BT-Drucks. 20/8095).

Auf europäischer Ebene plant die Europäische Kommission, den Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr zu bekämpfen. Sie hat einen Vorschlag für eine neue Zahlungsverzugsverordnung veröffentlicht, die Unternehmen vor den negativen Auswirkungen von Zahlungsverzögerungen schützen soll (Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, COM (2023) 533 final, 2023/0323 (COD). Kernpunkte des aktuellen Entwurfs sind die Begrenzung der Zahlungsfrist sowie die Dauer von Abnahme- und Überprüfungsfristen auf höchstens 30 Tage und eine automatische Fälligkeit von Verzugszinsen.

 

Dieser Artikel ist Teil des "Update Commercial 2024". Alle Beiträge und den gesamten Report als PDF finden Sie hier.

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