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Das neue Sorgfalts­pflichten­gesetz (Liefer­ketten­gesetz)

16.02.2021

Ein Überblick über den gegenwärtigen Gesetzgebungsstand und künftige Aufgaben betroffener Unternehmen

 

Die Bundesministerien für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und Arbeit und Soziales (BMAS) konnten sich nach monatelangem Streit mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) auf einen Referentenentwurf für ein Lieferkettengesetz einigen, das die Festlegung von Sorgfaltspflichten im Hinblick auf international anerkannte Menschenrechte vorsieht. Der Kompromiss bleibt deutlich hinter dem ursprünglichen Entwurf eines Sorgfaltspflichtengesetz zurück, der noch eine Haftung deutscher Unternehmen für Verstöße vorsah. Der Referentenentwurf wird dem Kabinett voraussichtlich Mitte März 2021 zur Beschlussfassung vorgelegt. Über den endgültigen Gesetzesentwurf soll der Bundestag noch in der jetzigen Legislaturperiode abstimmen.

Zielsetzung

Durch das Lieferkettengesetz sollen Unternehmen für Verletzungen von Menschenrechten innerhalb ihrer Lieferkette verantwortlich gemacht werden können. Ausgangspunkt sind die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGP), wonach weltweit der Menschenrechtsschutz in Form Nationale Aktionspläne (NAP) umgesetzt werden soll. Der deutsche NAP setzte zunächst auf eine Umsetzung der Vorgaben durch Unternehmen auf freiwilliger Basis. Eine solche Selbstregulierung der Wirtschaft gilt jedoch (nach Durchführung eines zweistufigen Monitorings) als gescheitert. Sowohl das NAP als auch der Koalitionsvertrag von 2018 sahen für diesen Fall die Einführung von gesetzlichen Regelungen vor. Zudem hat inzwischen der Rechtsausschuss des Europaparlaments für ein Europäisches Lieferkettengesetz gestimmt. Nach langem Streit um die genauen Regelungsinhalte eines Lieferkettengesetzes, wurde die Bundesregierung jetzt noch vor einer Verpflichtung durch die EU tätig.

Betroffene Unternehmen

Betroffen sind zunächst nur Personen- und Kapitalgesellschaften nach deutschem und ausländischem Recht, die in Deutschland ansässig sind und mehr als 3000 ArbeitnehmerInnen im gesamten Konzern beschäftigen. Ab 2024 soll das Lieferkettengesetz auch für kleinere Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten gelten. Allerdings hat der europäische Gesetzgeber bereits 2014 die Richtlinie zur Erweiterung der Berichterstattung von großen kapitalmarktorientierten Unternehmen, Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Versicherungsunternehmen verabschiedet (sog. CSR-Richtlinie), die in Deutschland in den §§ 289, 289c,315b, 315c HGB umgesetzt wurde und für Kapitalgesellschaften mit mehr als 500 Mitarbeitern die Verpflichtung einer „nichtfinanziellen“ Erklärung über Maßnahmen zum Umweltschutz, Arbeitnehmerschutz, zum sozialen Engagement und zur Achtung der Menschenrechte vorsieht. Es bleibt abzuwarten, ob hier die Mitarbeitergrenze an die Regelung des neuen Lieferkettengesetzes angepasst wird.

Was müssen deutsche Unternehmen zukünftig beachten?

Hauptbestandteil des neuen Lieferkettengesetzes soll die Festlegung von menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten für Unternehmen sein. Das deutsche Recht sah für Unternehmen bislang lediglich eine Berichterstattungspflicht über Maßnahmen zur Einhaltung von Menschenrechten innerhalb der Lieferkette vor. Nach dem neuen Lieferkettengesetz bestehen nunmehr weitere Sorgfaltspflichten:

1. Pflicht zur Risikoanalyse

In einem ersten Schritt müssen Unternehmen ihre Risiken innerhalb ihrer Lieferkette ermitteln und bewerten, um auf dieser Grundlage Maßnahmen ergreifen zu können. Als relevante Risikofelder benennt das Gesetz dabei insbesondere Zwangsarbeit, Kinderarbeit, Diskriminierung, Verstoß gegen die Vereinigungsfreiheit, problematische Anstellungs- und Arbeitsbedingungen und Umweltschädigungen. Nach der Einigung innerhalb der Regierung sollen Unternehmen nun gewährleisten, dass es im eigenen Geschäftsbereich und bei ihren unmittelbaren Zulieferern zu keinen Menschenrechtsverstößen kommt. Mittelbare Zulieferer in der Kette bis hin zum Rohstofflieferanten müssen dagegen nur abgestuft überprüft werden. Eine Risikoanalyse müssen Unternehmen hier nur dann vornehmen, wenn Beschwerden von Mitarbeitern eines mittelbaren Zulieferers das deutsche Unternehmen erreichen.

2. Pflicht zu Folgemaßnahmen: Abbruch von Geschäftsbeziehung nur ultima ratio

Als Konsequenz der Risikoanalyse müssen Unternehmen Maßnahmen ergreifen, um ermittelten negativen Auswirkungen vorzubeugen, sie zu minimieren und zu beheben. Dabei gilt der Grundsatz „Befähigung vor Rückzug“. Dies bedeutet, dass Unternehmen zunächst darin bestärkt werden sollen, gemeinsam mit dem Zulieferer oder innerhalb der Branche nach Lösungen zu suchen. Ein Abbruch der Geschäftsbeziehungen soll nur ultima ratio sein, um mit Menschenrechtsverletzungen von Tochtergesellschaften oder Zulieferern umzugehen.

3. Berichterstattungspflicht

Betroffene Unternehmen werden zudem verpflichtet, jährlich öffentlich einen Bericht über die tatsächlich und potentiell nachteiligen Auswirkungen ihres unternehmerischen Handelns auf die Menschenrechte vorzulegen.

4. Bemühenspflicht und Prinzip der Angemessenheit

Sowohl bei der Pflicht zur Risikoanalyse, als auch bei der Verpflichtung zur Ergreifung von Folgemaßnahmen soll es sich nicht um eine Erfolgspflicht, sondern um eine Bemühenspflicht handeln. Dies bedeutet, dass Unternehmen nicht verpflichtet werden, unter allen Umständen sämtliche Menschenrechtsverletzungen in ihrem eigenen Geschäftsbetrieb und diejenigen ihres unmittelbaren Lieferanten zu verhindern. Vielmehr richtet sich das geforderte Risikomanagement nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Welche Maßnahmen im Hinblick auf das einzelne Unternehmen angemessen und zumutbar sind, bestimmt sich insbesondere nach der Art der Geschäftstätigkeit, der Wahrscheinlichkeit mit der sich Risiken ergeben können und der Schwere eines möglichen Schadens. Relevant sind auch die tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeiten eines Unternehmens innerhalb einer Lieferkette.

Keine Schadensersatzhaftung von Unternehmen (nach deutschem Recht) vorgesehen

Nach derzeitigem und auch künftigem Stand haften Unternehmer nach deutschem Recht nicht für ausländische Schadensfälle anderer Unternehmen in der globalen Lieferkette. Denn die Neuregelung sieht nach wie vor keine Haftungsregelung vor.

Zwar war es auch bisher schon möglich, dass Drittgeschädigte ihre Rechte vor deutschen Gerichten durchsetzen konnten. Wegen Art. 4 I ROM II-VO müssen Gerichte dabei in erster Linie das Recht des Staates anwenden, in welchem das schadensbegründende Ereignis eingetreten ist. Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen lässt Art. 4 III ROM II-VO die Anwendung eines anderen als das Recht am Erfolgsort zu, wenn die Handlung eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat aufweist. Die Norm ist jedoch eng auszulegen und wird in den meisten in Betracht kommenden Konstellationen nicht einschlägig sein.

In der Praxis wurde diese Möglichkeit von Drittgeschädigten kaum genutzt, da dies meist an den Lebensumständen in dem betroffenen Land scheiterte. Daher soll es nach dem Lieferkettengesetz künftig möglich sein, dass Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften private Geschädigte im Wege der Prozessstandschaft vor deutschen Gerichten vertreten, wenn es Verstöße gegen Standards in der Lieferkette gibt.  

Eine Inanspruchnahme deutscher Unternehmen für einen durch einen Zulieferanten oder eines Tochterunternehmens verursachten Schaden nach dem deutschen Deliktsrecht ist dagegen auch weiterhin nicht möglich. Nach § 823 I haftet nur derjenige, der die Rechtsgutsverletzung tatsächlich begangen hat. Eine deliktische Haftung für fremdes Verschulden kommt nur ausnahmsweise nach § 831 BGB in Betracht, wenn ein Verrichtungsgehilfe des Unternehmens den Schaden verursacht hat. Innerhalb einer Lieferkette wird der Zulieferer oder ein Tochterunternehmen regelmäßig jedoch nicht als Verrichtungsgehilfe des Auftraggebers anzusehen sein.

Kontrollen, Bußgelder und vergaberechtliche Sanktionen

Künftig soll das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle die Einhaltung der Sorgfaltspflichten überwachen und vor Ort Kontrollen bei Unternehmen durchführen. Zudem können Beschwerden von Betroffenen direkt dort gemeldet werden.

Bei Missachtung der Sorgfaltspflichten sieht das Lieferkettengesetz Sanktionen in Form von Zwangs- und Bußgeldern vor. Die Höhe soll dabei bis zu zehn Prozent des Umsatzes eines Unternehmens betragen. Des Weiteren können Unternehmen gegen die bereits ein hohes Bußgeld verhängt wurde, für bis zu drei Jahre von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden.

Auswirkungen auf das Lieferantenmanagement und die Vertragsgestaltung

Als Reaktion auf ein zukünftiges Lieferkettengesetz sollte die Compliance-Organisation um Nachhaltigkeits- und Menschenrechtsgesichtspunkte in der Lieferkette erweitert werden. Am Anfang steht die Risikoanalyse, in der das Risiko möglicher Menschenrechtsverletzungen zu bewerten ist (anhand länder- und industriespezifischer Faktoren). Als Orientierungshilfe zur Implementierung solcher Compliance-Management-Systeme dienen hier sowohl die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte als auch der Nationale Aktionsplan.

Stellt ein Unternehmen fest, dass Risiken innerhalb einer Lieferkette bestehen, muss es Maßnahmen zur Prävention treffen, beispielsweise durch entsprechende Vereinbarungen mit Lieferanten, in denen entsprechende Sorgfaltspflichten auch dem Lieferanten auferlegt werden, wonach Menschenrechte, Arbeitnehmerbelange und Umweltstandards einzuhalten sind. Auch ein Screening (bestehender und künftiger) Lieferanten im Hinblick auf ihre Fähigkeit Sorgfaltspflichten einzuhalten, macht Sinn. Möglich ist auch, dass Lieferantenvereinbarungen auf einen „Verhaltenskodex“ verweisen, mit dem das Unternehmen seine Erwartungen an die Zusammenarbeit mit dem Lieferanten verbindlich beschreibt. Als vertragliche Sanktionen können Kündigungsrechte, Freistellungsansprüche und Schadensersatzansprüche fixiert werden. Des Weiteren kann der Lieferant dazu verpflichtet werden, dafür zu sorgen, dass Compliance-Standards auch in der nachgelagerten Lieferkette eingehalten werden.

Erforderlich sind auch entsprechende Auditrechte und der Nachweis des Lieferanten über durchgeführte Schulungen. Teil des Lieferantenmanagements sind auch periodische stichprobenartige Überprüfungen der entsprechenden Vorgaben.

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