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BGH verneint Pflicht zur Zahlung von „Negativzinsen“ aus Schuldscheindarlehen

10.05.2023

Der BGH hat mit Urteil vom 09.05.2023 (XI ZR 544/21) entschieden, dass bei einem Darlehensvertrag auch ohne ausdrückliche Vereinbarung einer Zinsuntergrenze keine Verpflichtung des Darlehensgebers besteht, „Negativzinsen“ an den Darlehensnehmer zu zahlen. Im Zuge der Entscheidung hat der BGH zugleich allgemeingültige Aussagen zum Zinsbegriff getroffen.

I. Sachverhalt

Der Kläger schloss mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten im März 2007 einen als „Darlehen“ bezeichneten Vertrag. Nach Überweisung der „Darlehenssumme“ stellte der Kläger der Beklagten fünf gleichlautende Schuldscheine über jeweils EUR 20.000.000 aus. Als variabler Nominalzins wurde der 3-Monats-EURIBOR zzgl. eines Zinsaufschlags von 0,1175 % p. a. mit einer Zinsobergrenze von 5,00 % p. a. vereinbart. Ab März 2016 errechnete sich aufgrund der Entwicklung des 3-Monats-EURIBOR ein negativer Wert, der bis zum Laufzeitende einen Betrag in Höhe von circa EUR 158.000 ergab. Der Kläger argumentierte, dass ihm in dieser Höhe ein Anspruch auf Zahlung von „Negativzinsen“ zustehe, unter anderem auch, weil keine Zinsuntergrenze vereinbart worden sei.

II. Entscheidung

Der BGH hat das klageabweisende Berufungsurteil bestätigt und einen Anspruch auf „Negativzinsen“ verneint.

Dabei stellt der BGH entscheidend auf den gesetzlich nicht geregelten – in der Privatrechtsordnung vielmehr vorausgesetzten – Zinsbegriff ab. Zins im Rechtssinne ist danach das Entgelt, das als Gegenleistung für die zeitweilige Überlassung von Kapital zum Gebrauch gezahlt wird und das zeitabhängig und zugleich gewinn- und umsatzunabhängig berechnet wird.

Auf der Grundlage dieses Zinsbegriffs ist es im Kontext darlehensrechtlicher Vorschriften (§§ 488 ff. BGB) bereits begrifflich ausgeschlossen, den Zinszahlungsstrom umzukehren und eine Pflicht des Darlehensgebers zur Zahlung von „Negativzinsen“ zu bejahen. Der BGH befürwortet damit einen Zinsbegriff, dem eine Untergrenze von 0 % stets immanent ist. Folgerichtig erachtet der BGH es auch ausdrücklich als unschädlich, dass die Parteien keine Zinsuntergrenze vereinbart hatten.

Dass der Darlehensnehmer Schuldscheine zugunsten der beklagten Bank ausstellte, steht dem nach Ansicht des BGH nicht entgegen. Denn entscheidend sei der Vertragsinhalt, der sich klar an dem gesetzlichen Leitbild des Darlehensrechts (§§ 488 ff. BGB) orientierte. Der BGH stellt hier also zutreffend Inhalt über Form.

III. Folgen für die Praxis

Die Entscheidung des BGH sorgt unmittelbar für Rechtssicherheit in Vertragskonstellationen, in denen keine Zinsuntergrenze vereinbart wurde. Gleichwohl sollte zur Vermeidung von Streitigkeiten auch künftig darauf geachtet werden, dass Verträge eine solche Untergrenze vorsehen. Insbesondere weil in der Praxis verschiedene Zinsuntergrenzen vereinbart sind: Der sog. EURIBOR Floor, welchen die Marge für den Darlehensgeber sichert und den Zins-Floor, welcher lediglich verhindert, dass der Gesamtzins negativ wird. Mit dem Urteil stellt der BGH zudem klar, dass das deutsche Darlehensrecht schon begrifflich keine „Negativzinsen“ kennt. Das gilt auch in anderen Konstellationen, wie etwa dem Verwahrentgelt, über dessen Zulässigkeit der BGH in absehbarer Zeit ebenfalls entscheiden wird.