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Überschuldungs­prüfung: Ende des verkürzten Prognose­zeitraums

30.08.2023

Mit dem „sanierungs- und insolvenzrechtlichen Krisenfolgenabmilderungsgesetz“ (abgekürzt und besser bekannt als „SanInsKG“) hat der deutsche Gesetzgeber mit Wirkung zum 09.11.2022 Regelungen getroffen, die die negativen Auswirkungen des russischen Angriffs auf die Ukraine auf die Energie- und Rohstoffmärkte sowie deren Folgen für die finanzielle Situation und mangelnde Planungssicherheit der Privatwirtschaft abmildern sollen. Insbesondere verkürzt das SanInsKG den Zeitraum für die Feststellung einer positiven Fortbestehensprognose im Rahmen der Überschuldungsprüfung von zwölf auf vier Monate. Über diese und weitere wesentliche Änderungen durch das SanInsKG hatten wir in unserem Beitrag vom 04.11.2022 informiert. Die Regelungen des SanInsKG sind bis zum 31.12.2023 befristet und werden nach derzeitigem Stand nicht verlängert. In Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls kann es aber sein, dass bereits ab dem 01.09.2023 wieder der Betrachtungszeitraum von zwölf Monaten für die Fortbestehensprognose gilt.

Ausgangspunkt: Prognosezeitraum von zwölf Monaten

Die Überschuldung ist insbesondere bei Kapitalgesellschaften wie der GmbH oder der Aktiengesellschaft sowie bei Personengesellschaften, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist (z.B. die GmbH & Co. KG), ein zur Insolvenzantragstellung verpflichtender Insolvenzgrund. Im Ausgangspunkt ist ein Unternehmen gemäß § 19 Abs. 2 der Insolvenzordnung überschuldet,

  • wenn sein Vermögen die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt (sog. rechnerische Überschuldung),
  • es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist in den nächsten zwölf Monaten überwiegend wahrscheinlich (sog. positive Fortbestehensprognose).

Bei Eintritt einer rechnerischen Überschuldung ist also für die Beurteilung der Frage, ob eine Überschuldung vorliegt, entscheidend, ob das Unternehmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit imstande sein wird, seine fällig werdenden Verbindlichkeiten im Prognosezeitraum vollständig zu begleichen. Die Fortbestehensprognose ist daher eine Zahlungsfähigkeits- bzw. Durchfinanzierungsprognose.

Streitpunkt: Befristung des verkürzten Prognosezeitraums

Grundsätzlich ist der Fortbestehensprognose seit Inkrafttreten des SanInsKG am 09.11.2022 ein Zeitraum von vier statt zwölf Monaten zugrunde zu legen und zwar „bis einschließlich 31.12.2023“ (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG). Der ursprüngliche Prognosezeitraum von zwölf Monaten kann unter Umständen aber bereits ab dem 01.09.2023 wieder relevant werden. Diskutiert werden insbesondere Fälle, in denen aus Sicht der Geschäftsleitung bereits im September 2023 feststeht, dass die ab 01.01.2024 wieder auf zwölf Monate zu erstreckende Fortbestehensprognose negativ ausfallen wird.

Laut Gesetzesbegründung zum SanInsKG sei zu berücksichtigen, „dass die Regelungen schon vor dem Ablauf der Geltungsdauer einen Teil ihrer praktischen Wirksamkeit einbüßen können.“ Wörtlich heißt es weiter: „Denn wenn für ein Unternehmen weniger als vier Monate vor dem Ablauf der Geltungsdauer feststeht, dass es unmittelbar nach dem Ablauf dieser Geltungsdauer unter dem dann wieder maßgeblichen Überschuldungsbegriff des § 19 InsO überschuldet sein wird, kann dieser Befund auch für die unter § 4 Absatz 2 [SanInsKG] zu erstellende Fortführungsprognose relevant sein“ (BT-Drs. 20/4087, S. 7). Auch die Pressemitteilung des BMJ zum SanInsKG weist darauf hin, „dass bereits ab 1. September 2023 der ursprüngliche Prognosezeitraum von 12 Monaten wieder relevant werden kann, wenn absehbar ist, dass auf Grundlage der ab dem 1. Januar 2024 wieder auf einen 12-monatigen Zeitraum zu beziehenden Prognose eine Überschuldung bestehen wird.“ Hieraus wird teilweise abgeleitet, dass ab dem 01.09.2023 wieder ein zwölfmonatiger Prognosezeitraum zugrunde zu legen sei. Mit guten Argumenten wird teilweise entgegnet, dass die Gesetzesbegründung und BMJ-Pressemeldung lediglich eine rechtsmissbräuchliche Berufung auf die verkürzte Prognosefrist adressieren wollten, wenn eine Durchfinanzierung für die Zeit ab 01.01.2024 „absehbar“ nicht sichergestellt ist. Rechtsprechung ist hierzu bislang nicht ergangen, da sich die Frage vor dem 01.09.2023 nicht gestellt hat.

Auswirkungen auf die Praxis

Vor diesem Hintergrund kann es in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls sein, dass man zu dem Ergebnis kommt, dass bereits ab dem 01.09.2023 wieder der Betrachtungszeitraum von zwölf Monaten gilt. Bei verbleibenden Zweifeln sollten Geschäftsleiter daher ab 01.09.2023 wieder den zwölfmonatigen Prognosezeitraum in ihr Monitoring einbeziehen und die Liquiditätsplanung auf dieser Basis wie üblich rollierend fortschreiben.

Grafik Insight SaninsKG vom 30.08.2023 

Die Folgen eines unter Umständen zu kurz gewählten Prognosezeitraums können beträchtlich sein. Ist das Unternehmen rechnerisch überschuldet und entfiele die positive Fortbestehensprognose unter Einbeziehung der nächsten zwölf statt vier Monate, wären die Geschäftsleiter im Fall von Gesellschaften mit beschränkter Haftung (siehe oben) insbesondere verpflichtet, unverzüglich wegen Überschuldung Insolvenzantrag zu stellen sowie auf Notgeschäftsführung umzustellen. Bestehen noch begründete Aussichten, die eingetretene insolvenzrechtliche Überschuldung zu beseitigen und werden entsprechende Anstrengungen unternommen, beträgt die maximale Antragsfrist aktuell gemäß SanInsKG noch acht Wochen, ab dem 01.01.2024 wieder reguläre sechs Wochen.

Bei Verstoß gegen die Insolvenzantragspflicht droht den Mitgliedern des Vertretungsorgans eine zivil- und ggf. strafrechtliche Haftung wegen Insolvenzverschleppung. Zudem treffen die Geschäftsleiter mit Eintritt des Insolvenzgrunds bestimmte Leistungsverbote und andere insolvenzspezifische Handlungspflichten, bei deren Missachtung eine persönliche Haftung der Geschäftsleiter droht.

Unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Pflicht des Geschäftsleiters, ein Krisenfrüherkennungssystem einzurichten, empfiehlt es sich, der Liquiditätsplanung von vornherein einen Prognosezeitraum von 18 bis 24 Monaten zugrunde zu legen (lesen Sie zur vorgelagerten Pflicht zur Krisenfrüherkennung unseren Beitrag vom 24.03.2022). Auf diese Weise ist sichergestellt, dass drohende Liquiditätsengpässe frühzeitig erkennbar werden und rechtzeitig geeignete Sanierungsmaßnahmen ergriffen werden können.

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie gerne:
Dr. Dorothee Prosteder, Simone Schönen oder Dr. Nicholas Palenker 

Praxisgruppe:
Restrukturierung & Insolvenz