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OLG-Entscheidungen beschränken "virtuelles Hausrecht" von Facebook

08.10.2018

Facebook darf bei der Entfernung von Inhalten die eigenen Community-Standards nicht über das Grundrecht auf Meinungsfreiheit der Nutzerinnen und Nutzer des sozialen Netzwerks stellen. Dies entschied das Oberlandesgericht (OLG) München mit Beschluss vom 24. August 2018 (18 W 1294/18). Die Münchener Richter erteilten einem unbeschränkten „virtuellen Hausrecht“ sozialer Netzwerke – wie bereits zuvor in einem ähnlich Eilverfahren im Juli (Beschluss vom 17. Juli 2018 - 18 W 858/18) – damit erneut eine entschiedene Absage. Facebook darf demnach nicht nach eigenem Ermessen beurteilen, ob ein Beitrag gelöscht wird oder nicht. Vielmehr entschied das OLG München nun, „dass eine zulässige Meinungsäußerung nicht von der Plattform entfernt werden darf.“

Verstoß gegen Gemeinschaftsstandards als Auslöser des Verfahrens

Dem jüngsten Gerichtsverfahren liegt die Äußerung einer Facebook-Nutzerin zugrunde, die im Rahmen einer Debatte mit einer weiteren Nutzerin unter anderem schrieb: „Ich kann mich argumentativ leider nicht mehr mit Ihnen messen, Sie sind unbewaffnet und das wäre nicht besonders fair von mir.“ Facebook löschte den Kommentar daraufhin mit der Begründung, der Inhalt verstoße als „Hassbotschaft“ gegen die Gemeinschaftsstandards des Netzwerks.

OLG München: mittelbare Drittwirkung der Grundrechte zu berücksichtigen

Die betroffene Nutzerin erstritt hierauf vor Gericht, dass die Löschung rückgängig zu machen ist. Das OLG München entschied, der entfernte Inhalt stelle „evident“ keine Hassbotschaft dar, da der Beitrag der Nutzerin nicht als direkter Angriff auf eine Person „wegen ihrer Rasse, Ethnizität, nationalen Herkunft, religiösen Zugehörigkeit, sexuellen Orientierung, geschlechtlichen Identität oder aufgrund von Behinderung oder Krankheiten“ anzusehen sei. Vielmehr handle es sich um eine von der Meinungsfreiheit umfasste Äußerung im Rahmen einer individuellen persönlichen Auseinandersetzung.

Die Entscheidung über die Zulässigkeit eines Beitrags liegt nach Auffassung der Münchener Richter zudem nicht im Gutdünken von Facebook. Eine entsprechende Klausel in den Community-Standards von Facebook, die ein solches einseitiges Bestimmungsrecht nahelege, sei unwirksam. Darin heißt es: „Wir können sämtliche Inhalte, die du auf Facebook postest, entfernen, wenn wir der Ansicht sind, dass diese gegen […] unsere Richtlinien verstoßen.“ Diese Regelung stehe im Widerspruch zu § 241 Abs. 2 BGB, der beide Vertragsparteien zur Rücksichtnahme auf den anderen Teil verpflichte. Aufgrund der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte müsse hinsichtlich des Inhalts und der Reichweite dieser Rücksichtnahmepflicht die Meinungsfreiheit der Nutzerin berücksichtigt werden. Im konkreten Falle sei insofern von entscheidender Bedeutung, dass soziale Netzwerke dem Zwecke dienten, den Nutzern einen „öffentlichen Marktplatz für Informationen und Meinungsaustausch“ zu verschaffen. In der Sache lehnt sich das Gericht damit an die in Rechtsprechung und Schrifttum begründete Lehre der „Public-Forum Doktrin“ an (vgl. die Fraport-Entscheidung des BVerfG, Urteil vom 22. 02. 2011 – 1 BvR 699/06).

Tendenz in der Rechtsprechung?

Mit den beiden Beschlüssen des OLG München zeichnet sich eine Tendenz in der Rechtsprechung ab, zur Beurteilung gelöschter Facebook-Inhalte das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG heranzuziehen. Entsprechend hatte bereits das LG Frankfurt am Main im Mai entschieden (Beschluss vom 14. Mai 2018 – 2-03 O 182/18). Hingegen betonte das OLG Karlsruhe in einem ähnlich gelagerten Verfahren im Juni (Beschluss vom 25. Juni 2018 – 15 W 86/18), dass Grundrechte in erster Linie „Abwehrrechte des Bürgers gegen staatliche Eingriffe“ seien. Gleichwohl gingen auch die Karlsruher OLG-Richter von der mittelbaren Drittwirkung der Meinungsfreiheit aus und beanstandeten im konkreten Fall lediglich nicht die von Facebook vorgenommene Beurteilung des rechtswidrigen Inhalts und zeitweise Sperrung des Nutzers.

Gleichzeitig zunehmende Regulierung sozialer Netzwerke

Die Gerichtsentscheidungen versetzen Facebook in eine schwierige Position, da das Unternehmen auch aus der entgegengesetzten Richtung zunehmend unter Druck gerät. In Deutschland kulminierte die anhaltende Kritik am laxen Umgang des Unternehmens mit strafbaren Inhalten schließlich im NetzDG, das Facebook und andere Plattformen zur Löschung bestimmter Inhalte innerhalb strikter Fristen verpflichtet. Weitere Vorstöße zur Regulierung von Online-Plattformen erfolgten zuletzt insbesondere auf europäischer Ebene: Im März erließ die Kommission zunächst eine nicht bindende „Empfehlung für wirksame Maßnahmen im Umgang mit illegalen Online-Inhalten.“ Die neue Richtlinie für Audiovisuelle Mediendienste, die voraussichtlich diesen Herbst verabschiedet wird, soll künftig Inhalte verbieten, die zu Gewalt, Hass und Terrorismus aufrufen. Am 12. September 2018 hat die Kommission zudem eine Verordnung zur Entfernung terroristischer Inhalte aus dem Netz angekündigt. Diese soll unter anderem eine sog. Eine-Stunde-Regel enthalten, wonach terroristische Inhalte binnen einer Stunde zu löschen sind.

Ob soziale Netzwerke wie Facebook in dieser Ausgangslage in Zukunft eher zu viele oder eher zu wenige Beiträge löschen werden, muss sich daher erst zeigen.

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